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Archiv-Artikel

Tourismus – vom Privileg zum Lebensstil

GESCHICHTE Die Erfindung der Pauschalreisen, Kraft durch Freude, FDGB-Ferien, TUI – ein kurzer Abriss des organisierten, modernen Tourismus und seiner Entwicklung in Deutschland

Von ED
Während der Weimarer Republik stieg die Zahl von Urlaubstagen auch bei Arbeitern auf acht bis zwölfTage

Die Pauschalreise: 1841 organisierte Thomas Cook – Tischler, Wanderprediger, Alkoholgegner – eine Bahnreise für 570 Temperenzler von Leicester ins zehn Meilen entfernte Loughborough. Im Preis inbegriffen waren Musikkapelle, Tee und Schinkenbrote. Schon bald schickte der Tourismuspionier die ersten Pauschalreisenden von London nach Paris, in die Schweiz und nach Italien. Diese neue Form des Reisens war dank organisierter Planung bequemer, dank Mengenrabatt billiger – und damit auch für das wachsende Bürgertum erschwinglich. Aus dem Reisenden, der einmal im Jahr individuell in die Sommerfrische fuhr, wurde der Tourist.

Zögerliche Demokratisierung: Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb das Reisen ein Vergnügen für Angehörige der privilegierten Stände, des Adels, Besitzbürgertums und später Beamten. Für die Mehrzahl der Angestellten und fast alle Beamten war der Anspruch auf Jahresurlaub bis 1914 durchgesetzt. Während der Weimarer Republik stieg die durchschnittliche Zahl von Urlaubstagen auch bei Arbeitern auf acht bis zwölf Tage; fast alle Arbeiter hatten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Jedoch bekamen meist nur ältere Betriebsangehörige so viel Urlaub, dass sie tatsächlich eine längere Reise hätten antreten können.

Kraft durch Freude: Die Nationalsozialisten verlängerten den Urlaub auf zwei bis drei Wochen pro Jahr. Am 14. November 1933 genehmigte Hitler die Pläne für ein Freizeitwerk. Ein „nervenstarkes Volk“ und die „Veredelung des deutschen Menschen“ wollte man erreichen, indem man der arbeitenden Bevölkerung eine bemessene, durchstrukturierte Freizeit anbot. Die Arbeitsleistung und Produktivität sollten gesteigert werden, die Volksgesundheit sollte sich verbessern. Nicht lasterhaftes, verweichlichendes „Vergnügen“, sondern gesunde „Freude“ sollte dem Arbeiter „Kraft“ geben.

Bundesrepublik: 1956 stellte der Metaller Otto Brenner beim Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbunds neben dem gesundheitlichen Aspekt der Erholung zum ersten Mal die kulturelle Bedeutung der Freizeit in den Mittelpunkt. Am 8. 1. 1963 tritt ein einheitliches Urlaubsgesetz in Deutschland in Kraft. Alle hatten erstmalig Anspruch auf bezahlten Urlaub. Die Demokratisierung des Reisens begann.

DDR: Hauptsächlich Betriebe und staatliche Institutionen organisierten Reisen, nach Rügen, Usedom oder in den Thüringer Wald. Der größte Reiseveranstalter war der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB) mit eigenen FDGB-Ferienheimen. Zweitgrößter Anbieter waren die staatlichen Campingplätze. Daneben gab es als Volkseigenen Betrieb (VEB) das Reisebüro der DDR und ab 1975 Jugendtourist, das Jugendreisebüro der Freien Deutschen Jugend (FDJ).

Massentourismus: 1963 stieg Josef Neckermann ins Flugreisegeschäft ein. Er perfektionierte die industriellen Methoden für den Reiseverkehr. Neckermann wurde zum Synonym für Massentourismus. Der Preis wurde zum wesentlichen Marketinginstrument. Mit der Liberalisierung des Binnenmarktes in Europa verschärften sich für Reisebüros, Hotels und Fluggesellschaften die Wettbewerbsbedingungen. Es entstanden Großkonzerne wie TUI/Hapag Lloyd mit dem amerikanischen Reisekonzern Carlson und dem britischen Reise- und Finanzkonzern Thomas Cook. Wer jetzt reist und bucht, landet fast zwangsläufig irgendwo weltweit bei einem TUI-Produkt. ED