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Archiv-Artikel

„Deutschland hat mich zerstört – und groß gemacht“

GHANA Ibrahim Sunday aus Ghana war der erste afrikanische Fußballprofi in der deutschen Bundesliga. Er spielte nur eine einzige Halbzeit. Seine Kollegen konnten nichts mit ihm anfangen. Hier erzählt er seine Geschichte

Sundays Vereine

■  Asante Kotoko: Einer der erfolgreichsten Fußballvereine Ghanas. 21-mal gewann er den Meistertitel, 2-mal die Champions League Afrikas – beide Male mit Beteiligung von Ibrahim Sunday: 1970 als Spieler und 1983 als Trainer.

■  Werder Bremen: Im Juni 1975 kam Sunday als erster afrikanischer Spieler in die Bundesliga – nachdem er 1970 zu Afrikas Fußballer des Jahres ernannt worden war.

■  Africa Sports: Nach seiner Zeit als Trainer bei Asante wechselte Sunday zum ivorischen Club Africa Sports, mit dem er 1992 den afrikanischen Pokal der Pokalsieger und den afrikanischen Supercup holte. Jetzt ist er der Leiter der MTN-Fußballakademie in Accra.

VON IBRAHIM SUNDAY

Er stellte sich einfach neben mich, sagte kein Wort, und ein anderer weißer Mann machte ein Foto von uns. Dann ging er, grußlos. Ich dachte, das ist bloß ein Fan, ein sehr unhöflicher weißer Fan. Es war am 24. Januar 1971 in Kinshasa, Zaire, im Stade Tata Raphaël, als ich ihn traf. Wir hatten gerade TP Englebert aus Lubumbashi mit 2:1 geschlagen im Finale des African Cup of Champions. Vor 120.000 Zuschauern. Und ich war der Kapitän von Asante Kotoko. Ich hatte unsere beiden Tore vorbereitet, ich küsste den Pokal, immer und immer wieder. Ich war der erste Ghanaer, der diese schöne Trophäe küssen durfte.

Den Mann hatte ich schnell vergessen. Ein Gesicht von hunderten an diesem Jubeltag. Elf oder zwölf Monate später bekam ich einen seltsamen Brief. Ohne Absender, ohne eine Zeile an mich, der Umschlag war schon aufgerissen, darin nur ein Foto: der Weiße und ich in Kinshasa. Doch ein netter Fan, dachte ich und vergaß ihn wieder.

Ein Jahr später, 1973, das nächste Zeichen. Mohammed Attiah, ein ehemaliger Mannschaftskamerad von Asante Kotoko, gab mir eine Visitenkarte. Mohammed spielte inzwischen in den Vereinigten Staaten, für Dallas Tornado, er war kurz zu Besuch in Ghana. Auf der Karte stand: Hans Wolff, SV Werder Bremen, Anschrift, Telefonnummer, über allem ein Wappen mit großem W. Das ist der weiße Mann, sagte Mohammed, er hat dir viele Briefe geschrieben. Warum antwortest du nicht? Er will dich nach Deutschland holen!

Mohammed guckte mich an, voller Erwartung, er dachte wohl, dass ich jetzt tanze vor Freude oder schreie. Er war ja glücklich im Ausland, und jetzt bekam ich meine Chance. Aber ich freute mich nicht, ich fühlte nichts, da waren nur Fragen. Wie sind die Menschen in Deutschland? Mögen sie Ausländer? Wo liegt Bremen überhaupt? Schneit es dort im Winter? Ich wusste, dass die Deutschen gute Fußballer haben. Müller, Maier, Vogts und Beckenbauer natürlich. Ich wusste, dass sie Europameister sind, 3:0 gegen die Sowjetunion im Finale 1972. Aber ich kannte ihren Fußball nicht, nur Namen und Ergebnisse aus der Zeitung.

Mohammed hatte Hans Wolff, den Geschäftsführer von Werder Bremen, in den USA getroffen. Werder machte dort ein paar Freundschaftsspiele, unter anderem gegen Dallas. Nach der Partie ging Wolff auf Mohammed zu und sagte: Du bist doch aus Ghana, du kennst bestimmt Ibrahim Sunday. Kannst du eine Nachricht überbringen? Wolff erzählte mir später, dass er zwei Jahre lang vergebens versucht hatte, mir ein Angebot zu machen. Weil er meine Anschrift nicht kannte, hatte er seine Briefe an das Sportministerium in Accra geschickt, mit der Bitte um Weiterleitung. Im Ministerium ist alles verschwunden. Ich habe nichts bekommen bis auf diesen einen aufgerissenen Umschlag mit dem Foto. Wahrscheinlich wollten sie nicht, dass ich gehe.

Ende 1973 besuchte mich Wolff in Accra. Er war freundlich, er war charmant, er schwärmte von meinem Spiel. Er sagte, er wolle mich unbedingt, you are exactly the player we are looking for, Ibrahim. Nur müsse ich ein bisschen Geduld haben, sie hätten gerade jemand anders gekauft für meine Position.

Ich wartete zwei Jahre.

Als ich im Juni 1975 in Bremen ankam, war es kalt und es regnete. Meine neuen Mitspieler sagten nicht viel zu mir, nur hello und goodbye. Wochenlang nur: hello und goodbye. Jungs wie Kalli Kamp, Dieter Burdenski oder Karlheinz Geils hatten freundliche Gesichter, und ich hätte auch gern mit ihnen geredet. Aber niemand in der Mannschaft konnte Englisch.

Abends schaute ich deutsches Fernsehen, obwohl ich die Worte zu den Bildern nicht verstand. Die wenigen Bücher, die ich aus Ghana mitgebracht hatte, las ich drei- oder viermal, ich kannte sie am Schluss fast auswendig. Es gab niemanden, den ich hätte fragen können, wie Deutschland funktioniert und wie der Fußball hier. Was man tun sollte und was lassen, wenn man aus einer anderen Welt kommt. Ich war der erste Afrikaner in der Bundesliga.

Wolff hatte mich irgendwie vergessen in dem ganzen Stress. Die Mannschaft kämpfte gegen den Abstieg, unser Trainer Herbert Burdenski musste gehen, Otto Rehhagel kam, es waren unruhige Monate. Eben nicht die Zeit, in der man an einen Bankdrücker wie mich denkt. Eine gute Idee aber hatte Wolff: Er kündigte mein Appartement nahe dem Weserstadion und brachte mich in einer WG unter. Ich kann es nicht anders sagen: Der Umzug rettete mein Leben.

Ich teilte mir mit Klaus Matischak eine helle Wohnung in der Bismarckstraße, und Zick-zack-Matischak, der früher mal für Werder gespielt hatte, lachte viel, er zeigte mir die Stadt und brachte mir ein wenig Deutsch bei. An freien Tagen fuhren wir zu seinen Eltern. Sie mochten mich, ich war wie ein Sohn für sie. Matischaks Mutter kochte meine Lieblingsgerichte, und sein Vater hörte zu, wenn ich ihm erzählte, wie sehr ich Ghana vermisse. Er konnte wunderbar trösten, mit wenigen Worten. Sie machten mich glücklich – für einen Nachmittag oder einen Abend. Dieses Gefühl, gewollt zu werden, verflog leider so schnell. Und wenn ich auf dem Platz stand, war es ganz weg.

Die Leute bei Werder waren nicht unfreundlich, doch sie wussten nichts anzufangen mit mir. Ich wurde mitgeschleppt, von einer Trainingseinheit zur nächsten, zwei Jahre lang. Ich war der Mann für die Ersatzbank oder für die Tribüne, und oft habe ich dort zu Recht gesessen. Mein Spiel war kaputt. Du kannst nicht mit gebrochenem Herzen spielen, nicht als Nummer zehn, die sprühen soll vor Ideen, die eine ganze Mannschaft zum Fliegen bringt. Das schafft der stärkste Fußballer der Welt nicht.

Otto Rehhagel dachte vielleicht, er täte mir einen Gefallen, wenn er mir ein paar Minuten in der Bundesliga schenkt. Im Juni 1976, es war der letzte Spieltag, wechselte er mich in der zweiten Halbzeit gegen Rot-Weiß Essen ein, für Jürgen Röber. Ich hätte glücklich sein sollen, ich weiß. Aber ich war leer, als ich endlich spielen durfte, zermürbt nach diesem einsamen Jahr in Bremen. Und was sind 45 Minuten gegen Rot-Weiß Essen für jemanden, der die afrikanische Champions League gewonnen hat? Der Afrikas Fußballer des Jahres gewesen ist?

Tausendmal während der ersten zwei Jahre in Deutschland habe ich gedacht: Du musst gehen. Tausendmal jeden Tag. Ich bin geblieben, sogar als ich gehen durfte. Im Sommer 1977 lief mein Vertrag bei Werder aus, aber ich wollte nicht zurück in die Heimat – nicht ohne etwas mitzunehmen. Ich wollte einen kleinen Triumph, einen Beweis, dass ich doch etwas verstehe von Fußball. In Barsinghausen, Hennef und Köln habe ich Trainerlehrgänge besucht und nebenbei für VSK Osterholz-Scharmbeck in der Bezirksliga gekickt, als Spielertrainer. Es war eine schöne Zeit, ich schaffte die Prüfungen, und in Osterholz-Scharmbeck schätzten sie mich. 1981 bin ich zurückgegangen nach Ghana, als Fußballlehrer mit A-Schein, der höchsten Lizenz des DFB.

Ich habe viel gelernt in Deutschland, vor allem für meinen heutigen Job als Trainer. Ich bin mit Asante Kotoko noch mal afrikanischer Champions-League-Sieger geworden, ich habe mit Africa Sports aus Abidjan, Elfenbeinküste, den Supercup gewonnen und den FC 105 Libreville aus Gabun bis ins Halbfinale der Champions League geführt. Zurzeit leite ich die MTN-Fußballakademie in Accra. Deutschland hat mich zerstört als Spieler und groß gemacht als Trainer. Ich weiß nicht: Soll ich dafür dankbar sein? PROTOKOLL: CHRISTIAN EWERS

■ Aus: Christian Ewers, „Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer – Die Tragödie des afrikanischen Fußballs“, Gütersloh 2010, 164 S., 17,95 €