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: Das Wunder von Hellersdorf: Rare Fans lassen Dome verschwinden

Alle gucken Fußball. Auch die taz. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Spanien – Tunesien in Hellersdorf.

Hellersdorf ist anders, als es sich der gemeine Szenebezirksberliner vorstellt. In Hellersdorf gibt es Badeseen in einem Naturschutzgebiet, eine Fachhochschule für Sozialarbeiter und einen Alternativkinojugendklub. Hellersdorf überrascht selbst da, wo man es am allerwenigsten erwartet: im Fanzelt Fußballdome, für mehr als 1.000 WM-Begeisterte mit Großraumdisko-Sozialisation konzipiert.

„Das Zelt können Sie gar nicht übersehen!“, sagt der Taxifahrer. Doch statt bierseliger junger Männer mit kurzgeschorenen Haaren und tanzender Go-go-Girls ist am Fußballdome – nichts. Wobei nichts nicht ganz richtig ist: Auf dem staubigen Parkplatz tummeln sich am Montagabend, kurz vor Beginn der Partie Spanien – Tunesien, immerhin ein paar Tauben, in Müllsäcken nach Fressbarem suchend. Auch ein paar Dixi-Klos erinnern daran, dass hier mal der Hellersdorfer Fußballdome gestanden haben muss.

Aber wo ist der Dome am Hellerdorfer Eck hingekommen? Haben ihn polnische Hooligans auf ihrem Heimweg zerlegt, oder wurden die Hellersdorfer Deutschlandfahnenschwinger komplett an die Fanmeile gebeamt, damit diese noch voller aussieht?

Ein Anwohner ist ratlos: „Gestern stand das Zelt noch da“, meint er verwundert. „Vielleicht bauen sie es ja wieder auf.“ Danach schaut es aber nicht aus. Erst recht nicht nach einem Blick ins Internet. „Wegen Unfinanzierbarkeit dieser schönen Idee im äußersten Osten der Stadt ist das Projekt gescheitert und wurde am heutigen Tage abgebrochen“, heißt es auf der Seite des Fußballdome. Über die möglichen Gründe könne man nur mutmaßen. Eine entsprechende Pressemittelung werde dieser Tage veröffentlicht. Aber kann darauf ein Fan warten, zehn Minuten vor Anpfiff einer Partie der großartigen Spanier?

Zum Glück gibt es zwei U-Bahn-Stationen weiter O’Brien’s Sportsbar in der Stendaler Straße. Die Kneipe liegt im urbanen Zentrum Hellersdorfs, das sich architektonisch locker mit vielen deutschen Provinzstädten messen lassen kann. Samstag abends ist die Bar rappelvoll, weil die Hellersdorfer nicht nur Korn, sondern auch Caipirinha mögen. Aber wenn in der Sportsbar der Geheimfavorit Spanien zu sehen ist, überrascht der Hellersdorfer Sportfan durch: Abwesenheit.

Möchte hier denn niemand sehen, wie Abwehrrecke Carlos Puyol einen Leichtsinnsfehler begeht und die hoch überlegenen Spanier ein ganzes Spiel anrennen, ohne dabei aber Nerven und Linie zu verlieren? Möchte niemand bewundern, wie der geniale und unbekümmerte Fernando Torres kurz vor Schluss das Spiel gegen Tunesien mit einem Zaubertor entscheidet, obwohl er wusste, dass diese Großchance nicht wiederkommen würde?

Wahrlich, vieles überrascht in Hellersdorf. Selbst in einer Kneipe mit irischem Namen, vor der ein deutsch-vietnamesisches Pärchen Mai-Tai unter Sonnenschirmen schlürft und in der verschiedene Fähnchen der WM-Teilnehmerländer hängen.

Nur die Frage, die die Kellnerin einem einsamen Bewunderer des entscheidenden Torres-Tors stellt, überrascht nicht: „Wie, du bist für Spanien?“

RICHARD ROTHER

O’Brien’s Irish Pub, Stendaler Str. 25, direkt „Helle Mitte“ in Hellersdorf. Alle Spiele auf Großbildleinwand. Eintritt frei