OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Rob Marshalls „Chicago“ (2002) basiert auf dem gleichnamigen Bühnenmusical von Bob Fosse, Fred Ebb und John Kander, das Fosse 1975 am Broadway inszenierte. Die Grundidee von Fosses Musicals besteht in einer grundsätzlich angenommenen Austauschbarkeit von Leben und Kunst – wobei aber nicht unbedingt die Kunst das Leben imitiert, sondern eher das Leben die Kunst. Diese Idee hat Marshall für den Film, der die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang zweier mordender Showgirls im Chicago der „goldenen“ 20er Jahre erzählt, in die Choreografien übernommen: Da wird das Gefängnis dann auch schon mal zum Raubtierkäfig und eine Gerichtsverhandlung erweist sich als Vorstellung im Drei-Manegen-Zirkus. Allerdings hat Marshall dabei mit den limitierten tänzerischen Fähigkeiten seiner Stars zu kämpfen: Catherine Zeta-Jones (als Velma) hat immerhin einmal eine Grundausbildung als Tänzerin genossen und schlägt sich tapfer, Renee Zellweger (als Roxie) überzeugt zumindest schauspielerisch als ordinär-naive Blondine. Dynamik entsteht in den Tanzszenen deshalb nicht durch Performance, sondern durch die Montage. Doch technisch ist das geschickt gemacht, und der Film kann sein hohes Tempo über lange Zeit beibehalten. Kompetentes Retro-Entertainment. (27. 6., Union)

Eine umfangreiche Retrospektive der Werke von Max und Marcel Ophüls bietet das Zeughauskino im Juli: berühmter Spielfilmregisseur mit bewegter Karriere in vielerlei Ländern der eine, herausragender Vertreter eines subjektiven dokumentarischen Kinos der andere. Eröffnet wird die Retro mit einem der bekanntesten Spielfilme von Max Ophüls: „Lola Montez“ entstand 1955 als ein faszinierend irreales Experiment in Farbe und CinemaScope, in dem Martine Carol als berühmte Kurtisane in einem amerikanischen Zirkus Szenen ihres bewegten Lebens nachstellt und sich in nicht immer chronologischen Rückblenden an ihre verschiedenen Amouren erinnert. Am Ende bestaunt man die frühzeitig ausgebrannte Frau in einem Käfig wie einen Zirkuslöwen. Beim Schreiben des Drehbuchs hatte Ophüls sich nach eigener Aussage von den „Skandalen“ damaliger Hollywoodstars inspirieren lassen und sowohl die Berichterstattung als auch die Reaktionen des sensationslüsternen Publikums verfolgt. Dass Ophüls dem Publikum hier den ironischen Spiegel vorhielt, dürfte nicht unwesentlich zur ablehnenden Haltung der zeitgenössischen Öffentlichkeit gegenüber dem Film beigetragen haben. (30. 6., Zeughauskino mit Einführung)

Ebenfalls sehr bewegt geht es in Ang Lees „Tiger & Dragon“ (2000) zu, der spielerisch spektakuläre Martial-Arts-Sequenzen mit einer Geschichte vom Selbstbestimmungsrecht der Frauen im China des frühen 19. Jahrhunderts zusammenbringt. Rache und ein gestohlenes Schwert stehen im Mittelpunkt der Geschichte, die zudem mit einer unangepassten Gouverneurstochter sowie einer Schurkin aufwartet, die selbst in ihrem bösen Tun noch vom Ideal der Frauenbefreiung beseelt ist. (24. 6., Filmmuseum Potsdam) LARS PENNING