Aus hehren Werken werden Dinge

PLASTIK Das Arp Museum Rolandseck rückt in der Ausstellung „Das Fundament der Kunst“ Nebensächliches in den Mittelpunkt: Der Sockel als sich selbst genügender Aktionsraum erfährt endlich eine Würdigung

VON HENNING BLEYL

Sein Standardmaß sind 80 Zentimeter. Er ist der klassische Kofferträger des Kunstbetriebs. Dafür da, anderes ins rechte Licht zu rücken: der Sockel. Derzeit widmet sich die Ausstellung „Das Fundament der Kunst“ erstmals ausgiebig dem bildhauerischen Unterbau. Die Schau frönt derselben Zeitgeist-Lust an der Umkehr von Wahrnehmungshierarchien, die auch die kürzlich zu Ende gegangene Rahmen-Ausstellung der Alten Pinakothek München inspirierte. Und trotz der Erwartbarkeit gewisser spielerischer Effekte schlägt sie spannende Sichtschneisen in das weite Feld von Verwandlungsmöglichkeiten des altgedienten Museums- und Marktplatzmöbels.

Wer „Sockel“ sagt, muss bei Rodin beginnen: Der schaffte ihn erstmals offiziell ab, in dem er seine „Eva“ 1899 auf den blanken Boden stellte. Dieser revolutionäre Akt in den Räumen des Rotterdamer Kunstvereins holte die Bildhauerei auch im übertragenen Sinn aus ihrer abgehobenen Sphäre: Sie machte aus den hehren Werken Dinge. Und legte damit letztlich den Grundstein zur Objektkunst späterer Jahrzehnte.

Der andere Pol einer Sockelkunde wäre dann bei Yuji Takeoka zu verorten, dessen blanker Metallblock sozusagen als ein „Solo-Sockel“ vor sich hin schimmert. Der 63-jährige Japaner hat den Unterbau längst zur autonomen Plastik gemacht, zum für sich allein existierenden Werk , das durch satte Goldfarbe unübersehbar als künstlerische Kostbarkeit proklamiert wird. Der Takeoka-Sockel, ein sich verjüngend in den Raum wachsendes Trapez, um es geometrisch korrekt auszudrücken, erfährt seine ironische Steigerung durch diverse Sockel-auf-Sockel-Arbeiten etwa von Didier Vermeiren 1982. Kurz: Die Kunstszene hat das Sujet längst durchgespielt. Umso erstaunlicher, dass die Ergebnisse erst jetzt in Gestalt der Gemeinschaftsausstellung zusammengetragen werden.

Anhängsel der Säule

Dabei ist der Sockel auf seinem Weg zum Selbstzweck schon in der Antike ein Stück vorangekommen: gut 30 Meter zum Beispiel in Gestalt der Trajanssäule in Rom. Sie enthebt den Kaiser in quasi-himmlische Höhen, wodurch er optisch allerdings zum bloßen Anhängsel der Sockelsäule schrumpft. Solche Bauwerke vom Typus „Hauptsache Sockel“ wurden bis ins 19. Jahrhundert etwa in Gestalt der Berliner Siegessäule errichtet. Im Arp Museum müssen derartige Monumentalitäten außen vor bleiben, aber für Alberto Giacomettis „Petit buste pour double socle“ ist Platz: einen genau 11,4 Zentimeter hohen doppelten Bronzeklotz, aus dessen oberstem Ende zwei Schultern mit einem Köpfchen wachsen. Auch das ist ein Trajanssäulen-Effekt, der freilich auf einer ungleich effizienteren Materialökonomie basiert.

Der Sockel als Selbstzweck, aber auch als Pathosformel und visueller Code, der Erhabenheit evoziert, findet seine passende Brechung in Pavel Schmidts Prügelzwerg: Auf dem Sockel führen ein Keramik-Jäger und die Fußmaschine einer Bassdrum eine latent aggressive Koexistenz. Schmidts „Vornehmer Fußtritt“ verursacht nicht nur bei Gartenzwergverächtern ein verführerisches Kribbeln im Fuß. Doch der Sockel erfüllt hier zumindest eine seiner traditionellen Funktionen: dem Kunstwerk einen Sicherheitsabstand zu verschaffen.

„Der Sockel als Aktionsraum“, wie die Berliner Kunsthistorikern Birgit Möckel das Vielzweckobjekt nennt, bietet jede Menge Platz sowohl auf seiner Oberfläche – genutzt etwa von Antony Gormley, der 100 BritInnen auf dem leeren vierten Sockel des Londoner Trafalgar Square zu lebenden Denkmälern werden ließ – wie in seinem aushöhlbaren Inneren. Durch seine diagonale Doppelung lässt sich auch ein auf simple Art wahr wirkender Satz wie „Sockel ist, was unten steht“ locker ad absurdum führen: Timm Ulrichs tut es, in dem er sich selbst als Abguss in der Mitte durchtrennt und die fehlende Hälfte jeweils durch einen Sockel ergänzt. Eine formale Konsequenz, die visuell allerdings langweilt.

Aktuelle Positionen

Die Ausstellung gewinnt ihren Reiz weniger durch die Reihung diverser Sockelvariationen als durch die explizite Fokussierung einerseits, natürlich, auf Hans Arps Destruktion der Rollenverteilung von unten und oben sowie auf vergleichsweise aktuelle Positionen: Die Schweizer Objektkünstlerin Sylvie Fleury stellte 2003 ihre in Bronze gegossenen Hochhacker auf einen verspiegelten Sockel, um den Betrachter auf doppelte Weise ins Boot zu holen: Auch der Schuh an den eigenen Füßen ist schließlich so etwas wie ein Zwischenmedium, ein Übergangsobjekt zwischen Boden und Figur. Nicht umsonst ist er der Namenspatron des „Sockels“, der sich aus einem lateinisch-italienisch-französischen Begriffsgewächs für „kleiner Schuh“ ableitet.

Jetzt, wo das Nobilitierungs-Requisit „Sockel“ seinerseits per Ausstellung geadelt ist, wo sowohl Rahmen als auch Bildrückseiten ausgiebig museal gewürdigt wurden, stellt sich die Frage nach künftigen Kunst-Kontextualisierungskonzepten. Eine Malpaletten-Schau? Die große Hammer-und-Meißel-Exposition? Auch eine Staffelei-Ausstellung wäre vorstellbar. Bis dahin kann man sich – mit Gewinn – an den Sockeln sattsehen.

■ Bis 24. Oktober, Arp Museum im Bahnhof Rolandseck