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Archiv-Artikel

Verspielte Grundstimmung

CLUBMUSIK Thomas Fehlmann wurde von Beuys’ Idee der sozialen Plastik und Prog-Rock-Gitarrist Robert Fripp beeinflusst. Die elektronische Musik in Deutschland verdankt ihm eine ganze Menge. Soeben ist seine erste Filmmusik als Album erschienen

Fehlmann nimmt sich die Freiheit, seine Stücke in verschiedene Richtungen zu lenken

VON TIM CASPAR BOEHME

„Dass ich ein Clubmusikproduzent bin, habe ich mir abgeschminkt, auch wenn ich das immer gern sein wollte. Aber das ist anscheinend etwas, das nicht so auf meinem Zettel steht.“ Aus dem Munde von Thomas Fehlmann klingen diese Worte ein wenig kokett. Immerhin hat der Produzent und Moderator des Ocean Club bei Radio Eins die Entstehung der Clubmusik in Deutschland maßgeblich mit auf den Weg gebracht und beständig begleitet. Man muss ihm jedoch zustimmen, wenn er sagt, dass ein Clubstück bei ihm „nie so ein richtiges Clubstück wird, weil ich es nie lassen kann, da noch mal einen Witz reinzubauen“.

Im Unterschied zu „richtigen“ Clubmusikproduzenten, deren Musik stets auf der Tanzfläche funktionieren muss, nimmt sich Fehlmann die Freiheit, seine Stücke in verschiedene Richtungen zu lenken, ob nun Beats dabei sind oder nicht. So auch auf dem neuen Album „Gute Luft“, seinem ersten eigenen Soundtrack.

Verwirrung stiften

Mit seiner Musik zur Mammutdokumentation „24h Berlin“, in der 50 Kamerateams einen kompletten Tag lang mehrere Berliner durch ihren Alltag begleiteten, steuerte Fehlmann insgesamt vier Stunden Material für die Tonspur bei. „Ich habe mich mit denen am Anfang regelmäßig im Schnittraum getroffen und war ein bisschen frustriert über die Kürze der verwendeten Teile“, gesteht der 1957 geborene Musiker, der mit Bands wie Palais Schaumburg oder The Orb längst Popgeschichte geschrieben hat. Seine Rolle als „Dienstleister“ ohne Mitspracherecht bei der Musikauswahl nahm er dennoch als neue Aufgabe an und lieferte knappe Stücke in unterschiedlichen Versionen, um sie den Atmosphären des Films anzupassen.

Als bloße Serviceleistung wollte er seine Arbeit allerdings nicht verstehen und wählte aus den vier Stunden fünfzehn Titel aus, die er noch einmal für das Album bearbeitete. Mit „Gute Luft“, eine Anspielung auf einen alten Palais-Schaumburg-Titel, zeigt sich Fehlmann ganz auf der Höhe seines Könnens, auch wenn es wieder kein Clubalbum geworden ist. Stattdessen regiert eine fröhlich-verspielte Grundstimmung zwischen Ambient und Dubtechno, der man sich auch als erklärter Gegner des positiven Denkens nicht entziehen kann. Wie bei dem Vorgänger „Honigpumpe“ hat sich Fehlmann stark auf Eingängigkeit und Harmonie konzentriert, in Zukunft möchte er aber wieder „schwierigere Sachen“ machen. Denn eine Konstante gehört für ihn seit den frühesten Tagen des Musikmachens dazu: „Verwirrung stiften“.

Diese Haltung stammt noch aus seiner Zeit an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, in der er mit den späteren Kunststars Albert und Markus Oehlen, Martin Kippenberger oder Werner Büttner zu tun hatte. Bei einem Ausflug zur Kasseler Documenta ließ er sich von Joseph Beuys’ Arbeit „Honigpumpe“ verwirren. „Das habe ich nun überhaupt nicht verstanden, was mich damals kolossal fasziniert hat. Denn die Sachen, die ich nicht verstanden habe, fand ich eben am geilsten.“

So auch Beuys’ Idee der „sozialen Plastik“, für die er zu einer ganz eigenen Deutung gekommen ist: „Die Leute haben meine Musik und meine Konzerte immer als freudiges Ereignis empfunden, in den guten Momenten kam so ein Leuchten auf, und die Leute fühlten sich inspiriert und nahmen etwas mit in ihren Alltag. Da hatte ich das Gefühl, das ist auch so eine Form von sozialer Struktur, die durch die Arbeit positiv beeinflusst wird.“

Auf die harte Tour

Ursprünglich zur Musik kam Fehlmann durch einen Musiker, dessen Kunstverständnis diametral zu seinem eigenen Ansatz steht: den sperrigen Prog-Rock-Gitarristen und linksapokalyptischen Pessimisten Robert Fripp.

Im Jahr 1979 zog Fripp mit seinem Frippertronics-Programm durch die Plattenläden und gab Gratiskonzerte, auch in Hamburg. Diese Offenheit sollte für Fehlmann prägend werden. „Ich fand das äußerst aufregend und verblüffend, dass so ein englischer erfolgreicher Musiker sich plötzlich mit Umsonstkonzerten in Plattenläden bemerkbar macht. Das hat mich auf die Reise geschickt. Eine Woche später habe ich mir den ersten Synthesizer gekauft, und dann ging es los.“

Von der Begegnung mit seinem nicht immer einfachen Palais-Schaumburg-Mitstreiter Holger Hiller kann hier nicht weiter berichtet werden. Nur so viel: Von Hiller lernte Fehlmann, sich Regeln aufzuerlegen und sich zu beschränken. „Da habe ich the hard way ein paar Lektionen gelernt, die für mich heute immer noch wichtig sind.“ Geschadet hat ihm das sicher nicht. Clubmusik hin oder her.

■ Thomas Fehlmann: „Gute Luft“ (Kompakt)