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Archiv-Artikel

Irgendwas mit Hitler kommt immer gut

SLAM POETRY In Modefragen entscheidet sich der Slam-Poet immer noch am liebsten für den Kapuzenpullover. Das „Best of Poetry Slam 2013“ in der Volksbühne zwischen lockerem Kabarett und aufgebrochenen Klischees

Große Lacher sind Wörter wie „Arschlochkrebs“, da johlt das Publikum, so was sagt man ja auch nicht

VON JURI STERNBURG

Der Jahreswechsel steht kurz bevor. So was erkennt man nicht nur an den mit Feuerwerkskörpern beladenen Familienvätern auf den Straßen, auch die Kulturstätten der Stadt sind ungewöhnlich voll. Es ist die Zeit, in der Familien gerne mal ins Theater gehen. So auch am Sonntag in der Volksbühne. Erstaunlich viele Jugendliche sind mit familiärem Anhang erschienen, um sich das Best of Poetry Slam 2013 anzuschauen, dementsprechend sieht man entweder sehr junge Zuschauer in betont locker getragenen C&A-Pullovern oder aber in die Jahre gekommene Goldrandbrillenträgerinnen mit Perlenketten.

Poetry Slam, das bedeutet in diesem Fall, dass sich acht Dichter in einem Turniersystem miteinander messen, jeder hat fünf Minuten Zeit zum Vortrag der Texte, der Sieger wird durch die Lautstärke des Publikumsapplauses bestimmt.

Ich werde von vornherein mit offenen Karten spielen, der ein oder andere mag es bereits bemerkt haben: Weder bin ich ein ausgewiesener Liebhaber des Poetry Slams, noch mag ich Jugendliche mit Seitenscheitel, die sich im Saal der Volksbühne umschauen und behaupten, dies wäre aber mal ein wirklich schöner Saal. Aber es ist natürlich bedeutend einfacher, sich besonders cool vorzukommen und alles blöd zu finden, anstatt sich auf Dinge einzulassen. Also setze ich mich brav auf meinen Platz und harre der Dinge, die da kommen.

Potpourri der Besten

„Best of 2013“ klingt nach Retrospektive, ein Potpourri der besten Slam-Poeten Deutschlands. Der amtierende NRW-Champ Sulaiman Masomi ist da, Sebastian Lehmann, der mit dem Hipster-Roman „Genau mein Beutelschema“ auch abseits der Slam-Poetry-Bühnen auf sich aufmerksam machte, oder Malte Roßkopf, angekündigt als „der Shootingstar der Berliner Poetry-Szene“. Thematisch stammen die Beiträge leider aus dem Jahr 2000, wenn überhaupt. Es geht um vegane Biomütter, leicht verblödete Amerikaner, die immer nur „Oh, that’s so great“ sagen, oder um dummdeutsche Neonazis.

Triviale Themen, kompliziert formuliert, rasant vorgetragen – dieses Motto zieht sich durch den Abend. Die Erfüllung des größtmöglichen Klischees gilt als Erfolg. Große Lacher sind Wörter wie „Arschlochkrebs“, da johlt das Publikum, so was sagt man ja auch nicht. Auch irgendwas mit Hitler kommt immer gut, das hat den Reiz des Verbotenen, zumindest an diesem Abend. Für die Vortragenden scheint ein etwas schlaff herunterhängender Kapuzenpullover Teilnahmebedingung zu sein, die Grenzen zwischen Quatsch Comedy Club und Poesie sind mehr als fließend.

Als ich bereits resigniert in meinen Sessel sinke und mich auf ein sympathisch gackerndes Mädchen, welches aus unerfindlichen Gründen auf der rechten Seite der Bühne sitzt, konzentriere, betritt Till Reiners die Bühne. Natürlich hängt die Kapuze seines Pullovers schlaff und unförmig herunter, aber bereits der erste Satz lässt einen aufhorchen: „Ich dosiere meine Wahrhaftigkeit nach dem Grad deiner Empörung“, sagt er und behandelt das Phänomen des „gemeinsam etwas empfinden“. Im weiteren Verlauf seines Textes hört man endlich etwas, was man zuvor vermisst hatte: wirklich aneckenden Humor, einen Humor, der die lockeren Kabarettnummern der Vorgänger bei weitem übertrifft, mit Metaebenen spielt und trotzdem für lauthalse Lacher sorgt.

Die Vorrunde übersteht Reiners locker, auch das Halbfinale gewinnt er mit einem Text über Milliardäre, für die Villenkaufen das Gleiche ist wie Brötchenkaufen. Sein Milliardär wohnt zuletzt im größten Brötchen der Welt und isst kleine Villen.

Am Ende des Abends muss er gegen Bas Böttcher antreten, der sich mit seiner rhythmisch-körperlich vorgetragenen Lyrik ebenfalls bis ins Finale gedichtet hat. Till Reiners behandelt die deutsche Flüchtlingspolitik, Klischees bedienend und doch aufbrechend hält er vielen den Spiegel vor, ohne den erhobenen Zeigefinger in den Saal zu strecken. Er gewinnt den Abend mehr als verdient und erhält eine Flasche Whiskey als Preis und den tobenden Applaus des generell klatschwütigen Publikums.

Das Jahr ist vorbei, vielleicht probiere ich ja 2014 erneut, meinen Frieden mit der Slam Poetry zu machen. Die Chancen stehen allerdings schlecht.