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Archiv-Artikel

Verdächtige Unterschicht

NORMALITÄTSEUPHORIE Der rechte und der linke Flügel des linken Diskurses streiten über Nationalismus und Fußball nach 2006

Reicht ein Foul an Michael Ballack aus, um den deutschen Mob aufzuschrecken?

VON SONJA VOGEL

Ist man Nationalist, wenn man Schweini mag? Gefährdet Kevin-Prince Boateng die Integration der Deutschen? Dies scheinen Fragen zu sein, die die deutsche Linke umtreiben. Denn trotz schönen Wetters kamen am vergangenen Mittwoch 150 Zuhörer in den Festsaal Kreuzberg, um sich von Alex Feuerherdt, Deniz Yücel, Klaus Bittermann und David Schweiger in einer Diskussion mit dem Titel „Schwarz, Rot, Was?“ die Absolution zum anschließenden Public Viewing des Spiels Ghana gegen Deutschland erteilen zu lassen.

Mit der Ankündigung, das Podium spalte sich „in einen rechten und einen linken Flügel“, nahm Moderatorin Doris Akrap den Kern des Konflikts bereits vorweg: In einem Artikel in der linken Zeitung Jungle World hatte Yücel sich anlässlich der WM 2006 gefragt, ob es noch einen Grund gebe, den deutschen Nationalismus im Besonderen abzulehnen. Viele Leser waren empört. Dass ihn die Tatsache, dass seine Mutter vom deutschen Fahnenmeer nicht beunruhigt war, bestärkte, wiederholte er. Feuerherdt hingegen verwies auf die Zahl der rassistischen Gewalttaten, die nach der WM deutlich gestiegen war. Von einem „friedlichen Nationalismus“ könne daher keine Rede sein.

Den Migranten geöffnet

„Ich habe das Gefühl, ein totgeprügelter Cacau wäre dir am liebsten“, provozierte Yücel. Aber diesmal blieb Protest aus. Der taz-Autor meinte, dass sich die Zeiten seit den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen geändert haben. Dass sich der deutsche Fußball vom „Beckenbauer-Edikt“, dem zufolge die Nationalmannschaft „deutschen Blutes“ sein müsse, abgewandt und sich für Migranten geöffnet habe, betonte auch Schweiger.

Bittermanns Feststellung, Fußball sei ein Unterschichtenphänomen, missbilligte das Publikum. Doch es seien wie in Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ auch im Fußball die „Unterrepräsentierten sehr gut repräsentiert“, stimmte Schweiger zu. Ob deutscher Fußball darum antirassistisch sei, wagte niemand zu fragen. Ist nun also „die Patina der Zivilisation“ so dünn, dass ein Foul an Michael Ballack ausreicht, um den deutschen Mob aufzuschrecken? Oder ist der nationale Fußballwahn unpolitisch?

Richtig ist beides nicht. Denn während die erste Position die Prozesse, die den Nationalismus seit 2006 verändert haben, leugnet, weigert sich die zweite, anzuerkennen, dass auch symbolische Ordnungen in einer Weise ausgrenzen, die existenziell ist.

Anschließend verfolgte das Publikum die Übertragung des Spiels. Und obwohl nur Fahnen von Ghana und England im Saal hingen, fiel der Jubel für das deutsche Tor erstaunlich laut aus, was einige Zuschauer dann doch verwirrte. Ähnliche Fragen stellte man sich auch auf Auftaktveranstaltung zu den 8. Linken Buchtagen im Tante Horst. Unter dem Titel „Irrsinn der Normalität“ beleuchteten Katha Rhein, Daniel Keil und Felicita Reuschling den Zusammenhang von deutschem Nationalismus und Popkultur. Auch das Tante Horst war rappelvoll.

Keil erläuterte, dass man von der These, beim Fußball-Hype handele es sich um eine „Normalitätseuphorie“, abgerückt sei. Mit der Etablierung der Berliner Republik, deren Grundsatz die Gegenüberstellung von „gutem Patriotismus und bösem Nationalismus“ sei, könne man heute „gerade wegen Auschwitz stolz auf Deutschland sein“, merkte ein Zuschauer an.

Dass Deutschland endlich „normal“ sei, zeige sich laut Keil in einer „neuen Qualität der Masse“, wie sie in den riesigen Public-Viewing-Veranstaltungen ablesbar ist. Wichtiger sei jedoch die „Selbstaktivierung“. Anhand eingereichter Videos für Kampagnen wie „Der vierte Stern für Deutschland“ wird zudem deutlich, wie unklar die Grenze zwischen Parodie und Ernst geworden ist. Aber taugt die Lena-Parodie „Schland o Schland“ wirklich zum Beweis für einen neuen Nationalismus? Oder ist sie Ausdruck einer Ironisierung der Nationaleuphorie?

Ein weiteres Beispiel ist der Fußballhit „Weltmeister“ der „zu Recht als links angesehenen“ (Katha Rhein) Band Die Bandbreite. Dass im Video der schwarz-rot-goldene Fanblock durch eine Antifa-Fahne unterbrochen wird, irritierte die ansonsten begeisterten Kommentatoren. Die vielfache Aufforderung, die „störende“ Antifa-Fahne aus dem Video zu nehmen, ist darum kaum überraschend. Dass Ironisierungen allzu schnell vereinnahmt werden, möchte man sich dennoch ungern eingestehen. Eine Empfehlung, wie man sich als Linker dem deutschen Fußball gegenüber verhalten soll, gab es also auch hier nicht.