„Die emanzipierte Frau ist nur ein Look“

FANMEILE Mit der Regisseurin Tatjana Turanskyj am Brandenburger Tor in wogenden Fluten von Fans – ein Gespräch über Geschlechterhierarchien und das Vergnügen, wenn sich die Dinge nicht nur im Symbolischen ändern

■  Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft und Soziologie in Frankfurt am Main.

■  Während dieser Zeit Arbeit als Schauspielerin bei Einar Schleef.

■  Danach als Werbetexterin und im Video- und Performancebereich tätig.

■  Schließlich Gründerin des Filmkollektivs hangover ltd* (2001); in dieser Zeit entstehen die Filme „hangover“, „Petra“, „Remake“.

■  Seit 2007 freie Filmemacherin, Autorin, Theaterpädagogin. Auf der Berlinale 2010 lief ihr erster Spielfilm: „Eine flexible Frau“.

■  Lieblingsverein: HSV.

VON INES KAPPERT

Flugs die Sonnenbrille ins Haar geschoben, Tatjana Turanskyj strahlt mich an, auf geht’s zur Berliner Fanmeile auf der Straße des 17. Juni. Als wir uns die erste Cola kaufen, entschuldigt sich der Verkäufer für den Preis, aber sie koste überall drei Euro, ehrlich. Wir sagen: „Ist schon okay.“

Noch geht es hier entspannt zu, es ist fast hübsch hier, so im autofreien Grünen. Tatjana Turanskyj ist ohnehin zufrieden. Massenveranstaltungen haben schon was, sagt sie. „Man kann prima beobachten, welche neuen Typen es so gibt. Der da zum Beispiel, der sich die Deutschlandfahne um die Hüften gebunden hat, der trägt einen knöchellangen Rock. Das ist ja fast camp, auch wenn er das vielleicht gar nicht weiß.“ Diese Konzentration auf Figuren, ihre Körperhaltungen und was sie über Machtkonstellationen in der Gesellschaft aussagen, fährt die Filmemacherin fort, das habe sie aus der Arbeit mit Einar Schleef gelernt. Er war überhaupt wichtig. Wir setzen uns auf die Straße, eine riesige, über den Boulevard gespannte Leinwand schwebt vor uns.

„Die konservative Emanzipation ist nichts weiter als die Affirmation des Status quo“ – das ist der programmatische Satz in ihrem Spielfilm „Eine flexible Frau“. Hey, und der ist nicht nur auf der Berlinale gelaufen, sondern auch in Cannes und kommt im Herbst in die Kinos, obwohl sperrig, anspruchsvoll und bösartig: Glückwunsch!

Aber was genau heißt „konservative Emanzipation“? Turanskyj konzentriert sich, „eine Emanzipation, die die Geschlechterhierarchie nicht angreift, sondern sich in ihr einrichtet und ihr einen neuen, zeitgemäßen Look gibt. Greta, meine Hauptfigur, lebt ein selbst bestimmtes Leben als Architektin, aber als sie ihren Job verliert, kommt sie überhaupt nicht mehr zurecht. Sie hat keine Sprache dafür, nicht erfolgreich zu sein, sie schämt sich, fängt an zu trinken, sie wird aggressiv, nervt ihre Freunde. Ihre ganze Identität hängt an ihrer Arbeit, ist die weg, ist sie kaputt.“ Wäre Greta nicht ganz so linientreu, dann könnte sie ertragen, auch mal joblos und desorientiert zu sein? „Wahrscheinlich, ja.“ Turanskyj überlegt. Und diese Angepasstheit ist symptomatisch für das Bild der erfolgreichen, emanzipierten Frau? „Unbedingt. Denken Sie nur an von der Leyen. Sie ist das Paradebeispiel für diese Ambivalenz: total emanzipiert und absolut systemkonform.“

Ein junger Mann setzt sich unaufgefordert zu uns, wir ignorieren ihn freundlich, Turanskyj fährt fort: Sie wolle sich da gar nicht ausnehmen, sie wäre jetzt auch nicht so die Revolutionärin. Die bittere Erkenntnis in zunehmendem Alter sei nur, jetzt lacht sie: Wenn man nichts tut, bewegt sich eben auch nichts.

„Die bittere Erkenntnis ist nur: Wenn man nichts tut, bewegt sich eben auch nichts“

TATJANA TURANSKYJ AUF DER FANMEILE

Die Machtverhältnisse sind überhaupt nicht ausgeglichen, nicht wahr. „Die emanzipierte Frau ist doch nur ein Look.“ Sie sei ja auch Vogue-verrückt, sie liebe Mode, klar, das merkt man ja auch ihrem Film an, Style ist wichtig. Turanskyj redet jetzt sehr schnell, die Arme fliegen hin und her, aber modische und sexuelle Selbstbestimmung allein, das kann es einfach nicht sein. Sie sprudelt weiter: Und dieser Mütterfeminismus und die zwei Monate Erziehungszeit, die Väter in der Regel nehmen, ach komm, das ist Symbolpolitik, an den Arbeitsverhältnissen ändert das überhaupt nichts. Aber darum muss gehen.

Halbzeit. Der junge Mann bedankt sich dafür, dass er habe zuhören dürfen. Gute Kinderstube, wir sind angenehm verblüfft. Wer wir denn seien, dass wir über solche Dinge redeten? Wir stellen uns höflich vor, er notiert sich den Titel von Turanskyjs Film, den müsse er sehen. Turanskyjs unterhält sich noch ein bisschen mit ihm, dann schlendern wir gemeinsam weiter. „Also wenn Frauen zu emanzipiert sind, ist es aber auch schwierig“, sagt er.

Die Meile füllt sich allmählich, eine Gruppe johlender junger Männer kommt uns entgegen; sie winken uns zu. Turanskyj grüßt zurück, sie hat sichtlich Spaß, und als sie feststellt, dass zwölf schweigende Mädchen zur Gruppe gehören, grinst sie: „Na, das ist doch ein super Abschlussbild für unser Gespräch.“