„Fernsehpils ist langweilig und geschmacklos“

BIER Comeback eines Kulturguts: Der Hobbybrauer Andreas Bogk hat eine Flasche Berliner Weiße aus DDR-Zeiten im Internet ersteigert und daraus das Original wiederbelebt

■ 38, ist in Köpenick aufgewachsen und im Hauptjob IT-Spezialist und Hacker. Sein Craft Beer („Handwerksbier“) produziert er in seiner Mikrobrauerei in Kreuzberg, wo er sonntags gelegentlich zu Führungen einlädt.

INTERVIEW GUNNAR LEUE

taz: Herr Bogk, das Selberbrauen scheint sich zu einer richtigen Bewegung in der Stadt zu entwickeln. Hat es Berlin besonders nötig?

Andreas Bogk: Auf jeden Fall. Alle bekannten Berliner Marken kommen aus den Töpfen desselben Brauerei-Konzerns. Es gibt hier auch keine Mälzerei mehr, alles wird zugekauft. Deshalb hat sich eine Gegenbewegung von Hobbybrauern gebildet, außerdem gibt es etliche Kleinstbrauereien, die kommerziell arbeiten und handwerkliches Bier herstellen.

Hat sich also schon eine richtige Szene entwickelt?

Wir haben untereinander viel Kontakt über ein Internetforum. Und man kennt sich über persönliche Besuche und von Veranstaltungen wie dem Berliner Bierfestival, einer Art Messe. Das Angebot an Berliner Bieren sieht nicht mehr so traurig aus wie noch vor wenigen Jahren.

Warum haben Sie ausgerechnet eine Berliner Weiße nach altem Rezept gebraut?

Ich mache auch andere Biere, aber die Berliner Weiße ist schon etwas Besonderes, weil es da auch um den Erhalt eines historischen Bierstils geht. Als Berliner habe ich mich ja zwangsläufig mit den heimischen Bierstilen befasst und dabei erfahren, dass die Weiße schon vor 300 Jahren das Lieblingsgetränk der Berliner war. Napoleon hat sie als Champagner des Nordens gerühmt. Inzwischen kann davon keine Rede mehr sein.

Warum nicht?

Weil die kommerziell erhältliche Weiße geschmacklich nicht mehr besonders gut ist und mit schlimmen Sirupen verabreicht wird. Kein Wunder, dass sie niemand mehr trinkt.

Ihre Weiße ist – im wahrsten Sinne – ein wiederbelebtes Ostprodukt. Kannten Sie die Sorte noch von früher?

Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Kindheit je eine Weiße getrunken zu haben. Es gibt aber ein wunderbares Blog, das mich auch zu den Forschungen über die Berliner Weiße inspiriert hat. Es heißt „Shut up about Barclay Perkins“ und wird von einem Briten betrieben, der in den Niederlanden wohnt und eine deutsche Frau hat. Der hat in den Achtzigern im Osten und Westen viel Bier getrunken und tatsächlich genau die Sorte, die ich jetzt braue, in bester Erinnerung. Es ist eine Weiße, die vor der Wende im Ostberliner VEB Getränkekombinat gebraut wurde, in der ehemaligen Willner-Weißbierbrauerei in der Berliner Straße im Prenzlauer Berg.

Wie sind Sie an die Originalhefe rangekommen?

Ich habe auf Ebay eine alte Flasche ersteigert, für 20 Euro.

Wer hebt denn so was 25 Jahre auf?

Ab und zu finden Leute beim Aufräumen im Keller auch altes Bier. Berliner Weiße kann man auch immer noch trinken, die hält sich manchmal über Jahrzehnte.

Wie haben Sie die Original-Mikroorganismen, quasi den alten Geist, aus der Flasche bekommen?

Eine Freundin hat mich nächtens in ein Biolaboratorium mitgenommen, wo wir die Flasche unter sterilen Bedingungen geöffnet haben. Den Inhalt haben wir getrunken und den Bodensatz danach auf Agar ausgestrichen [ein Nährmedium zur Anzucht von Pilzen und Hefen, Anm. d. R.]. Da wuchs dann was.

So eine Rekultivierung ist sicher technologisch anspruchsvoll. Hätte der ganze Aufwand durch eine falsche Behandlung umsonst gewesen sein können?

Oh ja, man kann eine Menge falsch machen, zum Beispiel beim Füttern der Hefekultur oder durch Verunreinigungen. Man muss sich eben weiterbilden. Ich habe viele Bücher gelesen, unter anderem über die Verwendung von Rohstoffen, und mir auch einiges erklären lassen.

Was ist anstrengender: Mikrobiologie oder die Bürokratie bei der Gründung einer Mikrobrauerei?

Der bürokratische Aufwand für Hobbybrauer ist schon anstrengend. Man muss jeden Sud einzeln beim zuständigen Hauptzollamt anmelden.

Beim Zollamt?

Die sind halt für die Biersteuer zuständig. Das geht aber formlos per Mail. Als Hobbybrauer darf man 200 Liter im Jahr steuerfrei brauen.

Sie haben mit ihrer Weiße kürzlich Leute im ganzen Land beschert.

Ich habe sie nicht nur in die ganze Republik verschickt, sondern auch in die Schweiz, Niederlande und nach Großbritannien. Insgesamt an weit über hundert Leute, die als Inkubator-Investoren halfen, meine Idee zu verwirklichen.

Wie kamen Sie als Computerspezialist eigentlich auf die Idee?

Auf einer Hacker-Konferenz in Belgien hielt eine belgische Kollegin abends um zehn noch einen Bierbrauworkshop ab. Nachdem ich mir den angeguckt hatte, dachte ich: Das kann ich auch. Ich habe immer schon gern gutes Bier getrunken und auch gern gekocht, warum also nicht in meiner Küche selbst Bier brauen? Ich musste natürlich in Equipment und Rohmaterialien zum Brauen investieren.

■ Die Geschichte der Berliner Weiße, ein obergäriges Sauerbier mit zweieinhalb Prozent Alkohol, lässt sich bis ins Jahr 1680 zurückverfolgen. Sie war vor allem in Berlin beliebt (1870 noch 90 Prozent Biermarktanteil), wo sie auch „Arbeitersekt“ genannt wurde. Allerdings wurde sie ohne Sirup getrunken, eher mit einem Schuss Korn. Der Schuss Sirup kam erst in den 1920ern auf.

■ Vor 150 Jahren wurde Berliner Weiße noch in mehr als 100 Brauereien hergestellt, vor zehn Jahren gab es noch drei Sorten und heute nur noch eine von Kindl. Ausgerechnet die wird nicht mehr nach dem traditionellen Verfahren hergestellt. Bei dem kam das Bier lebendig in die Flasche, wo es durch Flaschengärung und unter Beteiligung der „Fasshefe“ Brettanomyces sein typisches Aroma entwickelte.

■ Andreas Bogk hat, gestützt auf Veröffentlichungen von Professor Methner, dem Lehrstuhlinhaber für Brauereiwesen in Berlin, mit Experimenten begonnen, die Berliner Weiße nach Originalrezept wieder herzustellen, und manchmal Bier verkauft.

Dafür konnten Sie über eine Crowdfunding-Plattform in kurzer Zeit mehr als 20.000 Euro einsammeln. Wie erklären Sie sich die enorme Resonanz für diese Nische?

Vielen Leuten geht es sicher wie mir: Sie finden das meistverbreitete Bier, gemeinhin als deutsches Fernsehpils bezeichnet, langweilig und geschmacklos.

Ist das Bierland Deutschland schlechter als sein Ruf?

Mit Sicherheit. Dieses Fernseh- beziehungsweise Industriepils, das in alle Welt exportiert wird, ist absolut beliebig. Ich glaube, dass viele Leute hierzulande gar nicht die Biere kennen, die Deutschlands Ruf als Bierland begründen. Daran ändert auch das Reinheitsgebot nichts. Im Prinzip ist es zu einem Marketinggag verkommen. Es schreibt nur vor, welche Zutaten ins Bier dürfen, aber nicht, wie hochwertig die sein müssen. Andererseits beinhaltet es völlig unverständliche Regelungen, zum Beispiel darf aus Roggen nur obergäriges Bier gebraut werden.

Steht es um die Vielfalt wirklich so schlimm? Es gibt doch noch ziemlich viele Kleinbrauereien.

Das stimmt, gerade im Fränkischen. Die Situation ist auch lange nicht so desaströs wie in den Siebzigerjahren in den USA, wo sich die Craft Brewery als Gegenbewegung gebildet hat. Trotzdem, viele Einzelhändler klagen auch hier, dass sie ihren Kunden wenig gute Angebote machen können.

In den USA findet alle zwei Jahre eine Bierbrauer-WM statt. Wollen Sie da auch mal teilnehmen?

Ich habe es vor zwei Jahren probiert, wurde aber disqualifiziert, weil mein Bier noch nicht kommerziell erhältlich war. Dieses Jahr habe ich vergessen, mich anzumelden.

Im Vergleich zur IT ist das Bierbrauen eine Tätigkeit, die altmodischer kaum sein kann. Wie sehen eigentlich Ihre Hacker-Kollegen Ihr Hobby?

Es hat durchaus Leute inspiriert, selbst mit dem Brauen anzufangen. Außerdem ist es eine schöne Abwechslung vom Arbeitsalltag am Computer. Wenn man einen Tag in der Bauerei gestanden hat und das Ergebnis seiner Arbeit quasi mit der Hand anfassen kann, ist das ein herrlicher Ausgleich.