piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Kreuz mit der Freude

Das Erreichen des heutigen Achtelfinales gegen die Ukraine ist für die „Nati“ ein historischer Erfolg. Gedanklich sehen viele Schweizer Fans ihre Mannschaft bereits im Halbfinale – gegen Deutschland

AUS ZÜRICH MARKUS WIEGAND

Die Schweiz feiert wie noch nie. In den Städten drängeln sich während der WM Tausende vor den Großbildleinwänden, auf dem Land prägt allgemeine Volksbeflaggung das Bild: Die Eidgenossenschaft versammelt sich unterm Schweizer Kreuz.

Mit dem Einzug ins Achtelfinale, in dem das Schweizer Team heute gegen die Ukraine antritt, erreichte die Euphorie ihren vorläufigen Höhepunkt. Der Achtelfinaleinzug ist für das Land eine historische Leistung. Nur dreimal schnitt die Schweiz bei Fußballweltmeisterschaften besser ab. Das Team von Nationaltrainer „Köbi“ Kuhn, im Wesen eine Art Anti-Klinsmann klassischer Fußballlehrer-Prägung, gilt als „beste Nati“ seit der heimischen „Wunder von Bern“-WM vor 52 Jahren. An der Zürcher Langstraße, die angesagteste Fanmeile in diesen Tagen, stahlen die in Deutschland eher als ruhig verschrienen Schweizer angesichts des historischen Ausmaßes des „Triumphzugs in die Achtelfinals“ (Tages-Anzeiger) sogar den brasilianischen Feierkünstlern die Show.

Ähnlich wie in Deutschland handelt es sich um eine Mischung aus Patriotismus und Eventkultur. Nach dem Siegesrausch am Wochenende setzte die Analyse des „rot-weißen Fiebers“ ein, und das Ergebnis ähnelt wiederum der Analyse in Deutschland: Die auflagenstarke SonntagsZeitung kam zum Schluss, das „multikulturelle Nationalteam“ sei ein Beleg dafür, dass das Land auf Migration angewiesen sei. Tatsächlich gilt es als eines der Geheimnisse der neuen Schweizer Fußballstärke, dass beinahe die Hälfte des Teams aus Einwandererfamilien kommt. Vertreter dieser goldenen Generation sind etwa Arsenal-Verteidiger Philippe Senderos (21), der Kölner Mittelfeldspieler Ricardo Cabanas (27) oder Lazio-Star Valon Behrami (21). Sie alle haben nicht nur ausländische Wurzeln, sondern verdienen ihr Geld mittlerweile in den Topligen Europas – ein Grund, weshalb die Schweiz in diesem Turnier modernen Taktikfußball spielt.

Den Hype um die Jungstars verstärkt auch in der Schweiz die Werbung, die ihren Migrationshintergrund fürs Marketing entdeckt hat. Nicht zuletzt deshalb hat die Euphorie im Land auch Teile der Bevölkerung erreicht, die Fußball sonst weniger interessiert: junge Frauen, die mit Schweizer Kreuz auf dem Shirt vor Großleinwänden tanzen. Wobei gerade junge SchweizerInnen auch zuvor ungezwungen mit dem Nationalsymbol umgingen. T-Shirts, Handtaschen und Accessoires mit Schweizer Kreuz sind seit einigen Jahren im Trend. So ist die Schweiz selbst nach einer Befragung die wichtigste Marke des Landes – weit vor den kommerziellen Produkten der Konsumgüterindustrie.

Obwohl die Schweiz sich heute erst ins Viertelfinale kämpfen muss, hat die Euphorie das Team längst weitergetragen: „Hopp, Schwyz! Wir kommen ins Halbfinale!“, brüllte eine junge Frau aus Zürich nach dem Sieg am Freitag ins Mikro des Schweizer Fernsehens. Und dort könnten dann die Deutschen warten – der ultimative Show-down. Denn dem Nachbarland gönnt man in Fußballdingen rein gar nichts. Bei Umfragen, wer das Turnier bitteschön auf keinen Fall gewinnen solle, ist man sich einig: die deutschen Nachbarn.