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Archiv-Artikel

Der König von New York

Als erfolgreichste Popmusik des Planeten hat Hiphop es sich bequem gemacht. Besonders in der Hiphop-Hauptstadt New York stört kein Streit die Idylle. Niemand verkörpert dies besser als der Veteran Busta Rhymes und sein neues Album „The Big Bang“

Hiphop mag in der Krise sein – mit Busta Rhymes an der Spitze ist das Stagnation auf sehr hohem Niveau

VON TOBIAS RAPP

Man kann sich die Landkarte des Hiphop vorstellen wie Europa im Mittelalter. Fürstentümer, so weit das Auge reicht. Wobei diese eher schlichten Raubrittergruppen entsprechen, die in ihren ausstaffierten Burgen sitzen und das zusammengeraffte Gold bei spektakulären Festivitäten verprassen. Aus schierer Langeweile kommt es manchmal zu Ehrverletzungen, die dann kriegerische Auseinandersetzungen nach sich ziehen, dann muss man sich entscheiden, auf welcher Seite man steht. Und einmal im Jahr wird ein König gekrönt. Es ist ein Job, der weder Rechte noch Pflichten mit sich bringt, der weder ausgeschrieben noch bezahlt wird – im Grunde ist es auch höchst undurchsichtig, wer ihn warum bekommt. Es ergibt sich einfach. Dass es Busta Rhymes ist, der dieses Jahr auf der großen Bühne im Stadion der New York Giants bei der „Hot 97 Summer Jam“ des großen Hiphop-Radiosenders die Krone auf den Kopf gedrückt bekam, dürfte vor allem Ausdruck der Ruhe und Zufriedenheit sein, die lagerübergreifend den Hiphop beherrscht.

Denn Busta Rhymes mag zwar die natürliche Autorität haben, die Krone mit Würde zu tragen, schließlich hat er seine erste Platte vor gut 15 Jahren veröffentlicht, damals mit seiner Gruppe Leaders Of The New School. Außer LL Cool J hat sich kein anderer Rapper so lange halten können. Doch ansonsten gehen ihm alle Attribute ab, man sonst mit diesem Amt verbindet: Er ist kein Liebling der Straße wie seine Vorgänger Jay-Z oder Notorious B.I.G. etwa, auf deren Auftritte bei der „Summer Jam“ Hiphop-New York wochenlang warten konnte, um selten enttäuscht zu werden – Jay-Z etwa fegte 2001 Prodigy von der Bühne, indem seinen Diss „The Takeover“ dadurch unterstrich, dass er auf den Monitoren Kindheitsbilder seines Kontrahenten in Ballettkleidung zeigte. Mobb Deep haben sich davon bis heute nicht erholen können.

Dafür hat Busta Rhymes mit „The Big Bang“ (Aftermath/Universal) die beste Platte. Es ist ein erstaunliches Album. Denn obwohl es bereits sein siebtes Soloalbum ist, war Busta Rhymes bisher alles andere als ein Albumkünstler. Ja, auf seiner großen Desastertrilogie vom Ende der Neunziger prophezeite er tatsächlich, im neuen Jahrtausend werde die Welt, so wie wir sie kennen, untergehen und den Anfang werde ein großes Feuer in Downtown Manhattan machen. Doch Busta Rhymes Stärke waren immer die Singles, Clubhits wie „Woo-Hah! (Got You All In Check)“ oder „Dangerous“. Der Rest war Stückwerk, produziert zum Füllen der CD-Länge. Die Platten ermüdeten aber auch deshalb, weil Bustas Hochgeschwindigkeitsgerappe natürliche Grenzen hat – ein, zwei Stücke lang ist dieses Geschnatter großartig, was ihn auch zu einem der begehrtesten Gastrapper für Tracks anderer Künstler macht. Über die lange Strecke eines ganzen Albums allerdings ist es kaum zu ertragen.

Aus dieser Not kann man allerdings auch eine Tugend machen: Indem man für fast jedes Stück einen Gast engagiert. Und so funktioniert „The Big Bang“. Nas, Kelis, Stevie Wonder, Raekwon, Q-Tip und Missy Elliot geben sich das Mikrofon in die Hand, sogar Dr Dre rappt ein paar seiner seltenen Reime.

Tatsächlich würde all das aber wenig nutzen, hätte Dre, auf dessen Label Aftermath die Platte auch erschienen ist, als Produzent nicht versucht, Busta Rhymes Autorität durch ein Sounddesign zu stützen, das „The Big Bang“ als umfassende Hiphop-Plattform versteht. Da finden sich einer dieser minimalistisch-brutalen Schlag-drauf-und-schluss-Beat wie auf „Touch It“ (lustigerweise kontrastiert durch eine Vocoderstimme vom letzten Daft-Punk-Album), neben dem rhythmischen Grabgeschaufel von „Legends Of The Fall Offs“, dem Kompressorenwahnsinn von „In The Ghetto“ und dem Funkgedaddel von „New York Shit“.

Hiphop mag in der Krise stecken, insbesondere der New Yorker Hiphop, der dreckigen und aufregenden Spielarten des US-amerikanischen Südens wenig mehr als seine große Geschichte entgegen zu setzen hat. Mit einem König wie Busta Rhymes an der Spitze ist das Stagnation auf sehr hohem Niveau.