: Klatsche für Merkel
BUNDESVERSAMMLUNG Christian Wulff (CDU), Kandidat der schwarz-gelben Regierung für das Amt des Bundespräsidenten, scheitert auch im zweiten Wahlgang deutlich
AUS BERLIN RALPH BOLLMANN
Dass ihr Kandidat Christian Wulff im ersten Wahlgang die Mehrheit verfehlen könnte, hatten sie einkalkuliert im Regierungslager. Von bis zu 15 Abweichlern bei der Union und 3 bis 4 Abtrünnigen bei der FDP war die Rede gewesen. Dass es am Ende dann doch mindestens 44 schwarz-gelbe Stimmen waren, die Wulff im ersten Wahlgang aus den Koalitionsfraktionen fehlten, hatte niemand einkalkuliert. Und dass es dann im zweiten Wahlgang immer noch nicht für die erforderliche absolute Mehrheit reichen würde, kam dann doch einer Sensation gleich.
Offensichtlich sind die Zermürbungserscheinungen in der Koalition doch sehr groß. Bei der FDP hatten im Vorfeld die drei Wahlleute aus Sachsen angekündigt, Wulff nicht zu wählen. Mehr Abweichler habe es nicht gegeben, beteuerten nach dem ersten Wahlgang alle FDP-Wahlleute übereinstimmend. „Bei uns durften vorher alle sagen, für wen sie stimmen“, sagte der Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel. Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki kommentierte: „Es ist für die, die Christian Wulff nominiert haben, eine Klatsche.“
Der rot-grüne Bewerber Joachim Gauck erhielt im ersten Wahlgang insgesamt 499 Stimmen und damit 37 Stimmen mehr, als SPD und Grüne Wahlleute in die Bundesversammlung entsandt hatten. Im zweiten Wahlgang kam er auf 490 Stimmen. Die Kandidatin der Linken und frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Luc Jochimsen, holte beim ersten Mal sogar zwei Stimmen jenseits ihrer eigenen Partei, beim zweiten Mal entfielen insgesamt drei Stimmen weniger auf sie.
Neben den sechs im Bundestag vertretenen Parteien sitzen in der Bundesversammlung auch die bayerischen Freien Wähler mit zehn Wahlleuten und der Südschleswigsche Wählerverband mit einem Vertreter. Die drei Entsandten der NPD stimmten jedes Mal für ihren eigenen Kandidaten.
Es spricht einiges dafür, dass die Mehrzahl jener, die Wulff ihre Stimme verweigerten, aus den Reihen der Union kam. Die schlechte Regierungsarbeit in Berlin, die Wahlniederlage von Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen, der Rückzug Roland Kochs aus der Politik, der Eindruck, Parteichefin Angela Merkel wolle Wulff ins höchste Staatsamt nur wegloben und Kritiker in der Partei beruhigen: das alles vereinigte sich offenbar zu dem Bedürfnis, der Kanzlerin einen Denkzettel zu geben. Auch um den Preis, die eigene Regierung in Berlin in noch schlechterem Licht erscheinen zu lassen.
„Da kommt die Koalition nicht mehr raus“, sagte der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Ralf Stegner der taz. Die SPD-Bundesspitze fokussierte sich in ihrer Bewertung aufs Lob für Gauck, Schlussfolgerungen über den Zustand der Koalition überließ sie dem Publikum. „Wir können stolz sein, dass viele nach Gewissen abgestimmt haben“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel nach Teilnehmerangaben in der Fraktion. „Da ist keine Häme angebracht.“
Der erhoffte Befreiungsschlag durch einen glatten Sieg Wulffs fiel für die Koalition jedenfalls aus. Die Verhandlungen über die Gesundheitsreform an diesem Donnerstag und Freitag, der Streit um Energiekonzept und verlängerte Laufzeiten, die Kakofonie über Nachbesserungen am Sparpaket: all das hätte das Bild der Regierung so oder so verdunkelt, aber es wird nun nicht einmal durch einen Tageserfolg aufgehellt.
Mit überraschend deutlichen Ansagen hatte der Tag um zwölf Uhr in der Bundesversammlung begonnen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der dem Gremium kraft Amtes vorsteht, hielt mit Kritik am plötzlichen Ausscheiden des bisherigen Bundespräsidenten Horst Köhler nicht hinter dem Berg. „Niemand muss ein öffentliches Amt übernehmen“, sagte er. „Aber wer gewählt wird, übernimmt eine Verantwortung. Und niemand von uns steht unter Denkmalschutz.“
Bei Redaktionsschluss hatten sich die Fraktionen zur Beratung zurückgezogen, bevor um 18.15 Uhr der dritte Wahlgang stattfinden sollte. Die Linken-Kandidatin Luc Jochimsen wollte sich noch nicht festlegen, ob sie ihre Kandidatur zurückzieht. Beim dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit.