Die Grenze der Höchstverschuldung

Die norddeutsche Zentraldemo gegen Studiengebühren findet heute in Hamburg statt. Wissenschaftssenator Jörg Dräger ließ das Gebührenverbot vom Verfassungsgericht kippen. Im taz-Interview erklärt er, warum kostenpflichtiges Studieren besser ist

Interview:Kaija Kutter

taz: Herr Dräger, wenn heute Studierende aus dem Norden in Hamburg auf die Straße gehen, hat das was mit Ihnen zu tun?

Jörg Dräger: Mit mir sehe ich da keinen direkten Zusammenhang. Der Protest richtet sich gegen Studiengebühren. Darüber wurde anderthalb Jahre diskutiert, und ein Teil dieses Meinungsaustauschs ist eben eine Demonstration.

Sie waren 2003 Initiator der erfolgreichen Klage gegen das Gebührenverbot in Karlsruhe.

Demonstrationen finden ja in mehreren Städten statt und richten sich überwiegend gegen die Idee der Studiengebühren.

Müssen sich Hamburgs Studierende um ihre finanzielle Zukunft sorgen?

Eindeutig nein. Die soziale Absicherung ist sehr gut gelöst. Es gibt elternunabhängig für jeden ein faires Bankdarlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Bei einem bundesweiten Vergleich der Darlehensmodelle hatte Hamburg die beste Note. Zurückzahlen muss nur, wer nach dem Studium gut verdient.

Und kräftig Zinsen zahlen.

Der Zinssatz wird um die fünf Prozent liegen.

„Ungefähr“ ist ungenau.

Der Zinssatz wird vertraglich zwischen uns und der KfW abgesichert. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität, da man den Kredit beliebig aufnehmen und zurückzahlen kann. Wir haben das Ziel von fünf Prozent und eine Obergrenze eingebaut. Eine Schwankungsbreite ist möglich, deutlich mehr wird es nicht.

Die Zeit drängt. Die 500 Euro werden im April fällig. Gibt es schon Verträge zur Ansicht?

Noch ist nicht einmal das Gesetz verabschiedet, an dem es kürzlich noch Änderungen gab. Aber wir werden den Studierenden rechtzeitig Vertragsangebote unterbreiten.

Garantieren Sie, dass erst ab bestimmten Einkommen zurückgezahlt werden muss?

Ja. Das ist Bestandteil des Gesetzes und des Vertrages mit der Bank. Die Grenze richtet sich auch nach dem Familienstatus. Eine Familie mit zwei Kindern muss beispielsweise erst ab 28.920 Euro Netto-Jahreseinkommen zurückzahlen.

Wer trägt das Risiko, wenn sehr viele nichts zurückzahlen können? Auch Hochschulabsolventen bekommen nicht gleich einen Job. In Australien sollen die Kredite die Rückzahlungen um 9 Milliarden Dollar überschreiten.

In Australien ist etwas Erfreuliches passiert: Die Zahl der Studierenden hat gleichzeitig mit der Einführung der Studiengebühren stark zugenommen. Dadurch ist das australische System noch nicht stabil, weil es mehr Kreditnehmer als Rückzahler gibt. Das Risiko tragen Kreditnehmer und Hochschulen. Ein Stück Risiko ist im Zins eingebaut. Und der Ausfallfonds, den die Hochschulen bilden, trägt das Restrisiko.

Warum trägt das Risiko nicht die Stadt?

Die Hochschulen bekommen ja ihr Geld von der Stadt. Und sie bekommen 46 Millionen Euro Gebühren.

Die CDU-Fraktion hat für Bafög-Empfänger eine Rückzahlungs-Kappungsgrenze von 17.000 Euro durchgesetzt. Warum waren Sie dagegen?

Wir wollten das Gleiche: Bafög-EmpfängerInnen die Rückzahlung erleichtern. Ich wollte ein Modell mit einer höheren Einkommensgrenze, ab der Bafög-Empfänger zurückzahlen. Andere wollten die Kappungsgrenze, die aber Absolventen begünstigt, die sehr gut verdienen. Aber sie gibt ein klares Signal: Es gibt eine Grenze der Höchstverschuldung.

Was tun Sie, wenn ihre Gebühr abschreckt und noch weniger Kinder aus Arbeiterfamilien studieren?

Im internationalen Vergleich hat man dies nicht beobachten können, im Gegenteil. Die Kultusministerkonferenz wird ein Monitoring aufbauen, um zu sehen, ob es Verschiebungen zwischen gebührenpflichtigen und gebührenfreien Ländern gibt.

Und wenn‘s doch so kommt?

Ich erwarte, dass es mehr Studierende geben wird. Denn die Hochschulen werden auch dafür werben, welchen finanziellen Vorteil ein Studium bringt. Ein Hochschulabsolvent hat durchschnittlich 46 Prozent mehr Einkommen als ein Abiturient ohne Studium. Die maximale Verschuldungsgrenze von 17.000 Euro ist weniger als die Hälfte des Einstiegsjahresgehalts eines Akademikers.

Ich dachte, die Hochschulen werben mit besseren Studienbedingungen?

Natürlich, das ist der zweite wesentliche Punkt. Mit mehr Geld kann man mehr Bücher, mehr Tutoren oder mehr Professoren finanzieren.

Wie spürbar werden die Verbesserungen sein – kein Seminar mehr mit 100 Leuten?

Das kann man sich ausrechnen. Wir gehen davon aus, dass die Hochschulen rund 46 Millionen Euro mehr einnehmen, das entspricht etwa 460 Professoren.

Aber wenn die eingestellt werden, steigt die Lehrkapazität und damit die Zahl der Bewerber, die sich einklagen.

Es ist im Gesetz festgeschrieben, dass die Einnahmen nicht kapazitätswirksam sind, sondern die Qualität verbessern sollen. Ich kann keinem Richter vorgreifen, aber wir gehen davon aus, die Qualitätsverbesserung auch leisten zu dürfen.

Ab 2009 bis 2013 gibt es wegen der Abiturverkürzung in Hamburg doppelte Schulabgängerjahre. Fließen die Gebühren in neue Studienplätze?

Nein. Hamburg bietet bereits doppelt so viele Studienplätze an, wie wir Abiturienten haben, und bildet für Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit aus. Diese Anstrengung müssen aber alle 16 Länder gemeinsam unternehmen. Die Kultusminister werden bald darlegen, wie wir dem doppelten Abiturjahrgang Studienmöglichkeiten bieten.

Wird Hamburg mehr Studienplätze anbieten?

Weniger werden es sicher nicht. Wir sind aber nicht die ersten, auf die man schauen muss.

Die Schüler machen ein Jahr schneller Abi und verlieren es gleich wieder durch Wartezeit?

Nein. Das sehe ich nicht.

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