Westeuropa ist ziemlich verschnupft

Der jüngste Weltdrogenbericht der UN-Drogenbehörde UNODC meldet einerseits Erfolge, andererseits mehr Kokain in Westeuropa und mehr Anbau in Kolumbien. Trotzdem hält die UNODC an der umstrittenen Besprühung von Kokafeldern fest

AUS WIEN RALF LEONHARD

Antonio Maria Costa, der Direktor der UNO-Organisation gegen Drogen und Verbrechen (UNODC), mag an das Supermodel Kate Moss gedacht haben, als er am Montag bei der Vorstellung des jüngsten Weltdrogenberichts in Washington kritisierte, der Drogenmissbrauch von Prominenten werde in den Medien oft zu unkritisch dargestellt. Oder an den österreichischen Liedermacher Rainhard Fendrich, dessen Koksaffäre an der UNODC nicht ungehört vorüberging – UNODC hat ihren Sitz in Wien.

Costa konstatierte, dass „die Nachfrage nach Kokain in Westeuropa auf alarmierende Werte gestiegen“ sei, vor allem in den Schichten mit höherem Bildungsgrad. Noch lebe jeder zweite der weltweit 13 Millionen Kokainkonsumenten in Nord- und Lateinamerika. Doch dort stagniere der Verbrauch, während er in Europa (derzeit 26 Prozent des Konsums) ansteige. Über 50 Prozent des Rohstoffs wiederum werde weiterhin auf den Coca-Plantagen von Kolumbien gewonnen. Dort liegen auch 94 Prozent der Kokainlabors, die 2004 entdeckt und zerstört worden seien, nämlich über 8.200. Die Anbaufläche habe jedoch gegenüber 2004 sogar um 6.000 Hektar oder acht Prozent zugenommen, obwohl mittels Zwangseradikation mit hochgiftigen Entlaubungsmitteln 130.000 Hektar Coca vernichtet worden seien.

Trotz dieses offenkundigen Widerspruchs stellt die UNODC die von den USA befohlenen Sprühaktionen nicht in Frage. Dabei konstatieren Experten seit Jahren, dass für jeden aus der Luft vergifteten Hektar Coca ein weiterer Hektar Regenwald abgeholzt wird, weil die Bauern keine andere Existenzgrundlage haben. Gleichzeitig werden als Kollateralschaden auch die legalen Ernten und Kleinvieh vernichtet.

Was die Opiumproduktion betrifft, so freut sich der Bericht 2005 über einen 21-prozentigen Rückgang der Anbauflächen in Afghanistan. Das ist die erste Erfolgsmeldung aus diesem Land seit 2001. Gleichzeitig sind 2004 die Beschlagnahmungen stark angestiegen. Allerdings warnte Costa vor einer neuerlichen Trendumkehr „wegen Massenarmut und mangelnder Kontrolle der Regierung über die Anbaugebiete“. Diese Einschätzung deckt sich mit den Prognosen des unabhängigen Senlis Council, der aber, anders als die UNO, eine Lösung nur in der beschränkten Legalisierung des Opiumhandels sieht.

Kritik am UNODC-Bericht übt auch das Transnational Institute (TNI) in Amsterdam. Martin Jelsma, der Koordinator des TNI-Programms für Drogen und Demokratie, sieht in ihm eine Fülle „wissenschaftlicher Beleidigungen“. So sei der Rückgang der Opiumerzeugung in hundert Jahren (von 30.000 auf 5.000 Tonnen) nicht der internationalen Drogenbekämpfung zu verdanken, sondern den Entwicklungen in China und dem Vormarsch legaler Schmerzmittel. Jelsma beklagt auch das Fehlen jedes Hinweises auf die Erfolge der akzeptierenden Drogenpolitik, die im letzten Jahrzehnt die HIV-Ansteckung durch die Nadel und Überdosen mit Todesfolge vermindert habe.

Der 214 Seiten starke Bericht widmet ein dickes Kapitel den Gefahren des Cannabiskonsums, der weltweit steige. Wörtlich wird da vor einer verheerenden „Cannabis-Pandemie“ gewarnt. Da, so das TNI, widerspreche der Bericht sich selbst. Denn an anderer Stelle wird eingeräumt, dass „ein Gutteil früheren Materials über Cannabis heute“ als unzutreffend erkannt worden sei und dass „eine Reihe von Studien in mehreren Ländern Cannabis von vielen Vorwürfen freigesprochen habe“.

Der Bericht im Web: www.unodc.org