: Die große Offensive
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Drei Tage nach der Entführung des israelischen Gefreiten Gilad Schalit startet die israelische Armee mit rund 5.000 Soldaten eine neue Bodenoffensive im Gaza-Streifen. Die Operation „Sommerregen“ soll so lange andauern, bis Schalit wieder frei ist. Im Westjordanland präsentierten gestern Aktivisten des Palästinensischen Volkswiderstandskomitees den Ausweis eines israelischen Siedlers. Der 18-jährige Eliahu Pinchas Ascheri, der seit Sonntag vermisst wurde, ist die zweite israelische Geisel. Er soll „vor laufenden Fernsehkameras geschlachtet werden“, drohten die Entführer, sollte die israelische Armee nicht umgehend aus dem Gaza-Streifen abziehen. „Unsere Geduld ist zu Ende.“
Die Anstrengungen der Armee konzentrieren sich vorläufig nur auf die Befreiung des Gefreiten Schalit. Kurz nach Mitternacht stießen gestern Infanterie- und Panzerbataillone in den südlichen Gaza-Streifen vor, um die Region, in der der entführte Soldat vermutet wird, abzugrenzen. Kampfflugzeuge begleiteten die Invasion und bombardierten mehrere Brücken sowie ein Elektrizitätswerk in der Stadt Gaza. Saib Erikat, ehemals palästinensischer Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen, veranschlagte die Kosten für die Reparatur des Elektrizitätswerks auf 12 bis 15 Millionen Dollar. „Tausende Palästinenser werden über Monate ohne Strom bleiben“, erboste sich Erikat.
„Wir bedauern, dass die Bevölkerung leidet“, meinte der die Operation kommandierende General Joaw Galant vor Journalisten. Um zu verhindern, dass die Entführer ihre Geisel über die Grenze nach Ägypten schmuggeln, besetzten die Soldaten den seit Jahren nicht mehr genutzten Flughafen in der Grenzstadt Dahanija.
Der israelische Regierungschef Ehud Olmert betonte, dass Israel nicht die Absicht verfolge, den Gaza-Streifen neu zu besetzen. „Wir wollen nicht dort bleiben“, sagte er. „Unser einziges Ziel ist, Gilad zurückzubringen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, werde Israel „nicht zögern, extreme Maßnahmen zu ergreifen“. Verhandlungen lehnt Olmert nach wie vor ab. Die Entführer, die der Hamas angehören, hatten die Entlassung der palästinensischen Frauen und Jugendlichen gefordert, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert sind. Das israelische Außenministerium wies auch die Botschaften an, nicht mit Vertretern der Hamas zu verhandeln.
Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri nannte die Militäroperation einen „schweren Fehler“, mit dem Israel die Befreiung des entführten Soldaten erst verhindere. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der sich in den vergangenen Tagen intensiv für eine Freilassung der Geisel eingesetzt hat, verurteilte die Invasion, die er als „humanitäres Verbrechen“ bezeichnete. Abbas appellierte an die USA und die UNO, Druck auf Israel auszuüben, damit die Armee wieder abzieht.
Überraschende Hilfestellung kam unterdessen aus Damaskus, Wohnort des als Hintermann der Entführung geltenden Hamas-Chefs Khaled Maschal. Syriens Präsident Baschar Assad wandte sich laut Berichten der israelischen Tageszeitung Maariw an Maschal, um sich als Vermittler anzubieten. Die USA und Israel hatten Assad wiederholt dazu aufgefordert, Maschal des Landes zu verweisen. Offenbar hofft der syrische Präsident, mit seinem Einsatz in der Geiselaffäre bei den USA zu punkten. Seit der junge Assad vor sechs Jahren die Geschäfte seines verstorbenen Vaters übernahm, kühlten sich die Beziehungen zu den USA deutlich ab.