: Import nur, wenn Export
Europa verlangt, dass Schwellen- und Entwicklungsländer ihre Zollschranken für Industriegüter senken. Sonst keine Importe von Südfrüchten. WTO steckt fest
BERLIN taz ■ Die Industrieländer machen die Welthandelsgespräche jetzt zur Chefsache. Bis Sonntag versuchen Minister und Staatssekretäre aus den großen Handelsnationen, die festgefahrenen Verhandlungen flottzubekommen. Selbst US-Präsident George Bush hatte sich im Vorfeld für eine Einigung stark gemacht – ein Indiz, dass die USA diesmal vielleicht zu Kompromissen bereit sind.
Es ist höchste Zeit dafür. Wenn es bis Mitte nächsten Jahres keine Einigung gibt, wird die 2001 in Doha eingeläutete Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) gescheitert sein. Denn dann läuft Bushs Verhandlungsermächtigung aus. Eine Erneuerung gilt als äußerst unwahrscheinlich. Danach müsste jeder kleine in der WTO gemachte Verhandlungsschritt im US-Kongress abgestimmt werden. Der ohnehin schon schwierige Einigungsprozess würde gänzlich unmöglich.
In den vergangenen Monaten drehte sich fast alles nur um die Öffnung der Agrarmärkte des Nordens für Produkte aus dem Süden. Jetzt geht der Norden zum Gegenangriff über und fordert im Interesse seiner Exportwirtschaft die Öffnung der Industriegütermärkte des Südens. „Die EU macht ihre Marktöffnungsangebote im Agrarbereich abhängig von Angeboten der anderen Industrie- und der Schwellenländer, den Zugang zu ihren Industrie- und Dienstleistungsmärkten zu erweitern“, heißt es in einem EU-Vermerk von vergangener Woche.
Die Entwicklungsländer sollen demnach ihre Zölle auf Industriegüter wesentlich stärker senken – im Schnitt um 75 Prozent – als die entwickelten Länder, die ihre Zölle schon länger stark reduziert haben. Hohe Schutzzölle seien kein „wichtiger Erfolgsfaktor für die industrielle Entwicklung“, erklärt die Bundesregierung dazu auf Anfrage der Linkspartei. Das sehen Kritiker anders und verweisen auf die erfolgreiche, unter sehr starkem Zollschutz abgelaufene Entwicklung der ostasiatischen Tigerstaaten. „Wenn sich Bundeskanzlerin Merkel und EU-Handelskommissar Mandelson mit ihrem Vorschlag durchsetzen, müssen viele Industrien in den armen Ländern dichtmachen“, befürchtet Marita Wiggerthale von der Organisation Oxfam.
Die UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) hat das schon einmal durchgerechnet. Demnach wäre zum Beispiel in der indischen Buntmetallverarbeitung mit einem Verlust von 26 Prozent der Arbeitsplätze zu rechnen. Im Automobilsektor der südostasiatischen Länder wären bis zu 37 Prozent der Jobs gefährdet. Der brasilianische Volkswirt Joaquim Bento de Souza schätzt, dass allein in der Industrieregion um Rio und São Paulo mindestens 65.000 Menschen zusätzlich unter die Armutsgrenze fallen würden. Wenigstens müsse man den betroffenen Ländern flexible Übergangsfristen einräumen, um den Schock einer so drastischen Marktöffnung abzufedern, fordern die Unctad-Experten.NICOLA LIEBERT