Die Zeit der Sorgentelefone

In Hamburg und Schleswig-Holstein gibt es nächste Woche Zeugnisse, in Bremen und Niedersachsen zwei Wochen später. Das Kinder- und Jugendtelefon bietet ein Netz von Beratern für den Krisenfall an. Auch für Eltern gibt es ein Sorgentelefon

von KAIJA KUTTER

Am Rande einer Veranstaltung über Kindesvernachlässigung berichteten Hamburger Schülerinnen einer achten Klasse folgenden Fall: Eine Mitschülerin war ihnen ein Jahre zuvor in der Umkleidekabine wiederholt durch blaue Flecke aufgefallen. Als sie sie darauf ansprachen, kam heraus, dass das Mädchen von ihren Eltern geschlagen wird, wenn es dreien oder schlechtere Noten nach Hause bringt. Erst die Einmischung der Vertrauenslehrerin habe Abhilfe geschaffen.

Keine Frage, die ersten Zeugnisse machen Kindern in der Grundschule Spaß, jedenfalls wenn es Einsen und Zweien gibt. Aber schon in der dritten Klasse, wenn die Lehrer das Tempo anziehen, gibt es dann eben auch Fünfen und Sechsen. Ein Zehnjähriger versteckte sich kürzlich nach einer Mathearbeit auf dem Dach der Schule, um in Ruhe zu weinen. Er hatte zuvor eine Fünf geschrieben und glaubte, auch diese Arbeit verhauen zu haben. Noch in der zweiten Klasse, als es keine Noten gab, war er ein begeisterter Rechner und konnte nie genug Aufgaben bekommen. „Zensuren gehören zu den stärksten Auslösern von Schulangst und blockieren Lernfreude und Leistungszuversicht“, warnte erst kürzlich der Grundschulverband, nachdem er eine Expertise bei dem Siegener Erziehungswissenschaftler Hans Brügelmann in Auftrag gegeben hatte. Der Professor, der die zentralen Forschungsbefunde und internationalen Erfahrungen zu Ziffernnoten auswertete, stellte der hierzulande praktizierten Leistungsbeurteilung ein verheerendes Zeugnis aus. Ziffernnoten täuschten nur vor, den Leistungsstand des Schülers zu spiegeln und objektiv zu sein. In Wirklichkeit werde die gleiche Leistung in verschiedenen Klassen von verschiedenen Lehrern „unterschiedlich beurteilt“.

Wenn am Mittwoch in Hamburg und am Freitag in Schleswig-Holstein die Zeugnisse verteilt werden, hilft diese Erkenntnis wohl kaum weiter. Dann gilt es, den Eltern die Wahrheit nahe zu bringen. „Oft haben wir Fälle, wo Kinder den Eltern die Noten bislang nicht gezeigt oder sogar Unterschriften für Klassenarbeiten gefälscht haben“, berichtet Katja Lauen vom Kieler Kinder- und Jugendtelefon.

Unter der Nummer ☎ 0800/111 03 33 können Kinder von 15 bis 19 Uhr sogar von einem fast abgelaufenen Kartenhandy aus kostenlos anrufen. Tun sie dies vom Festnetz aus, werden sie automatisch an eine Sorgentelefonzentrale in der Nähe vermittelt, wie es sie außer in Kiel auch noch in Lübeck, Neumünster, Bargteheide, Hamburg, Braunschweig, Cuxhaven, Emden, Göttingen, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Nordhorn, Osnabrück, Schaumburg, Stade und Wilhelmshaven gibt. „Wir besprechen mit den Kindern, was schon mal geholfen hat, den Ärger zu lösen“, berichtet Lauen. Da sie vor Ort sei, könne sie mitunter auch Kontakt zu Vertrauenslehrern vermitteln.

Die Berater beim Kinder- und Jugendtelefon arbeiten ehrenamtlich und müssen eine 80-stündige Ausbildung durchlaufen. „Es ist schon eine anspruchsvolle Tätigkeit“, sagt Heidi Schütz von der Zentrale des Kinder- und Jugendtelefons. Wer Interesse an Mitarbeit habe, können sich unter ☎ 0202/259 05 90 an sie wenden.

Rat bei Zeugnissorgen bieten in Hamburg zudem vom 5. bis 7. Juli die Rebus-Beratungsstellen unter ☎ 040/428 63-54 09 sowie das Schulinformationszentrum unter ☎ 040/428 63-27 00.

In Niedersachsen können die Schulpsychologen der Landesschulbehörde angerufen werden, unter ☎ 05341/81 41 26 für Braunschweig, ☎ 04131/25 28 06 für Lüneburg, ☎ 0441/949 98 36 für Osnabrück und ☎ 0511/106 71 76 für Hannover. Überregional bieten auch noch die Evangelische Kirche unter ☎ 0800/111 01 11 und die Katholische Kirche unter ☎ 0800/111 02 22 sowie die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung unter ☎ 0800/111 05 50 ihre Dienste an. Übrigens: Unter der letztgenannten Nummer können sich auch Eltern Montags und Mittwochs von 9 bis 11 Uhr und Dienstags und Donnerstags von 17 bis 19 Uhr Rat holen.