Erfahrung geht nur über den Raum

HOLOCAUST-MAHNMAL

Das Besondere der feldgroßen Skulptur ist nun mal: Sie funktioniert nur über Raumerfahrung

Kleine Testfrage: Wissen Sie, was am 27. Januar ist? Das ist der Tag, an dem 1945 Auschwitz befreit wurde – seit 1996 ein offizieller deutscher Gedenktag.

So wichtig dieser Tag ist, allein dass es nur einer von 365 im Jahr ist und die wenigsten davon wissen, beweist: Das reicht nicht, die Erinnerung muss Teil unseres Alltags sein. Gebautes Gedenken schafft das locker, da es nun mal, tja, überall rumsteht.

Wie das Stelenfeld beim Brandenburger Tor, das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“. Seit aber am Rande der riesigen Silvesterparty Betrunkene an die Stelen gepisst haben, steht auf einmal die Frage im Raum, wie offen dieses Denkmal in Zukunft sein darf – gerade wenn die üblichen Mega-Feiern dort steigen. Ein Zaun solle dann drum, so ein Vorschlag, mehr Wachpersonal „auf- und abmarschieren“ (O-Ton Lea Rosh, Initiatorin des Denkmals), um derlei Baubeleidigung künftig zu verhindern.

Das Besondere dieser feldgroßen Skulptur liegt aber nun einmal darin, dass sie nur über Raumerfahrung funktioniert. Nach diesem Prinzip arbeitet der Künstler Richard Serra wie auch der Architekt Daniel Libeskind, sein Jüdisches Museum beweist es. Ihre Werke werfen einen aufs Körperliche zurück, spielen mit Wahrnehmung.

Das macht dieses Prinzip so perfekt für Denkmäler: Sie sind stets Identitätsstifter der Überlebenden. Und zu unserer Deutschen gehört, das Grauen zwischen 1933 und 1945 immer wieder neu zu begreifen. Oder eben: greifen. Keine Broschüre, keine x-te Stunde Geschichtsunterricht schafft das. Natürlich kann – und sollte – man auch Konzentrationslager besuchen. Aber die abstrakte Form des Stelenfelds lässt Leerstellen. Es wirkt unmittelbarer. Man muss nur durch diesen Wald aus überlebensgroßen Steinsäulen gehen, über den unebenen Boden taumeln, rechts, links, vorne das Licht verschwinden sehen. Bis die Beklemmung kommt. Egal wann.

ANNE HAEMING