Geschundene Körper

RETROSPEKTIVE Das Wiener Belvedere zeigt das skulpturale Frühwerk Alfred Hrdlickas. Seine Witwe sucht derweil Verbündete für ein dem Meister gewidmetes Museum. Nicht nur in Wien, sondern auch in Berlin

Ein böses, aufgedunsenes Gesicht, der Unterkiefer trotzig vorgeschoben, der finstere Blick verrät keine Reue. So hockt die nackte marmorne Gestalt der Massenmörderin Martha Beck auf Knien und Ellenbogen, als würde sie das Fallbeil der Guillotine erwarten. Das Gegenstück zeigt eine Figur, die den rechten Arm im Schmerz unnatürlich verrenkt. Im ausdruckslosen Gesicht mag man aber die Andeutung eines Lächelns erkennen – nach Exekution und Sühne. Beck, die mit ihrem Geliebten Raymond Fernandez in den 1940er Jahren mindestens ein Dutzend Menschen ermordete, wurde 1951 in Sing-Sing auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Alfred Hrdlicka, im vergangenen Dezember 81-jährig gestorben, hat zeit seines Lebens den Schmerz thematisiert. Der grantige, oft ungehobelte alte Mann, als der der Künstler in Erinnerung ist, sei ein sensibler Mensch gewesen, der durch das Leiden anderer immer tief berührt worden sei, sagt Alfred Weidinger, Vizedirektor der Galerien im Wiener Belvedere und Kurator der Ausstellung „HRDLICKA. Schonungslos!“

Erstmals wird dem Maler, Grafiker und Bildhauer eine reine Skulpturenausstellung – mit 18 Marmor- und Kalksteinfiguren – gewidmet: zeitlich eingegrenzt bis zum Jahr 1964, als der noch junge Künstler Österreich bei der Biennale in Venedig vertreten durfte. Mit der Ausnahme von zwei gigantischen Köpfen des Kollegen Oskar Kokoschka, die an Monolithe von den Osterinseln erinnern, sind es vor allem Torsi leidender Menschen: Gekreuzigte, der geschundene Satyr Marsyas oder Penthesileia.

Der Einladung zur Eröffnung war ein Blatt Sandpapier beigelegt. Es steht nicht nur für die raue Schale des Künstlers, sondern auch für die Feinarbeit an den Steinblöcken, bei der Angelina Siegmeth-Hrdlicka oft mitgeholfen hat. Die Witwe, die den enormen Nachlass verwaltet, meint, „die Ausstellung hätte dem Alfred eine irrsinnige Freude gemacht“. Denn der Bildhauerei habe immer seine besondere Liebe gegolten. Deswegen will sie sich auch nicht von den Skulpturen trennen, die jetzt noch im Prateratelier stehen, wo Hrdlicka jahrelang arbeitete. Das Studio ist das letzte Gebäude, das von der Wiener Weltausstellung 1873 übrig geblieben ist: geräumig und hoch wie eine Kathedrale.

Siegmeth-Hrdlicka wünscht sich, dass dort ein Museum eingerichtet wird. Sie wurde aber aufgefordert, das Atelier bis Jahresende zu räumen. Das Gebäude gehört dem Bund. Alfred Hrdlicka hätte es gerne gekauft, um ein Museum zu hinterlassen. Dazu kam es nicht mehr. Witwe Angelina fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Schon bei der Beerdigung hätten sich Bürgermeister Michael Häupl und Bundespräsident Heinz Fischer, die beide anwesend waren, um eine Ansprache gedrückt: „Weil ich Oskar Lafontaine als Schlussredner eingeladen hatte.“ Das Museum, so Angelina Siegmeth-Hrdlicka, müsse nicht unbedingt in Wien eingerichtet werden. Sie kann sich auch Berlin ganz gut vorstellen: „Ich glaube, dass die Politiker dort intelligenter sind als hier. Bei uns denken sie immer nur an die nächste Wahl.“ RALF LEONHARD

■  Bis 19. September, Orangerie, Unteres Belvedere, Wien