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Archiv-Artikel

der kommentar Kollektive ohne Superstars

Wie wunderbar war es, Zinedine Zidane noch einmal solch einen Fußball spielen zu sehen wie gegen Brasilien. Jede kleine Ballberührung versah der Held mit einer kleinen Besonderheit, hier ein Ballstreichler, dort ein Lupferchen, und dieses Gespür für den unsichtbaren Raum – eine Augenweide. Für einen Augenblick war das Gefühl da, das dieser Weltmeisterschaft bislang fehlt wie den Engländern der präzise Elfmeterschuss: die Ehrfurcht vor dem Einzelkönner, dessen fußballerische Zauberkraft alles überstrahlt.

Vor der WM war ausschweifend diskutiert worden, wer denn für die Rolle des Superstars in Frage käme. Natürlich Ronaldinho, vielleicht Riquelme, Messi, Rooney, Podolski, Deco, Robben? Keiner hat ein überzeugendes Bewerbungsschreiben für diese Rolle vorgelegt, Miro Klose ist wohl der letzte Kandidat, gegen Argentinien hat er getroffen, davon abgesehen blieb er aber unsichtbar. Es droht eine WM ohne Superstar. An dieser Stelle könnte man nun wütend werden auf José Pekerman, den mittlerweile zurückgetretenen Argentinier, der der Welt den Wunderknaben Lionel Messi vorenthalten hat. Dieser kleine Kerl hat das Potenzial, nur durfte er insgesamt mickrige 101 WM-Minuten spielen. Und die Brasilianer? Ihnen ist es gelungen, ein vergiftetes Binnenklima zu produzieren, sodass Ronaldinho und Kaka nie ihre Freude fanden.

Betrachtet man das Phänomen als Jünger des Konzeptfußballs, ist dieses Fehlen des Superhelden dankbar als Zeichen der Fußballgeschichte zu verstehen. Jürgen Klinsmann arbeitet seit seinem Amtsantritt an der flachen Hierarchie im Team, wenn Klose am Ende als Weltmeister zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt werden sollte, würde er den Titel gewiss an die Mannschaft weiterreichen. Frankreich siegte als Kollektiv gegen die Individualisten aus Brasilien, Portugals Trainer Scolari ist ein alter Meister im Erschaffen solidarischer Gruppen, und die Italiener haben sich anlässlich der grassierenden Skandaldepression in ihrer Duisburger Wagenburg zusammengerafft.

Die Welt aber lechzt nach dem Superhelden, doch diese Weltmeisterschaft will einen solchen einfach nicht gebären. Die Botschaft könnte daher sein: Heldenfußball gehört einer vergangenen Epoche an, es lebe das Kollektiv. Neu ist das natürlich nicht, aber man darf diese WM als Höhepunkt einer Entwicklung begreifen. Und als Hoffnungsspender für eine Zukunft des ansehnlichen Kombinationsfußballs.

DANIEL THEWELEIT