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„Vorsichtige Annäherung“

AUSSÖHNUNG Seit 1965 lädt Hamburg ehemalige jüdische Mitbürger ein – tat sich aber lange schwer

Lina Nikou

■ 31, ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte der Uni Hamburg.

taz: Frau Nikou, Sie haben die Reaktionen jüdischer Emigranten auf die Einladung nach Hamburg erforscht. Wer genau wurde da eingeladen?

Lina Nikou: In erster Linie diejenigen, die in die USA und nach Israel emigriert waren. Aber auch Menschen aus England, Australien und anderen Ländern.

Wie ging das vor sich?

Von Hamburg aus wurde der Kontakt 1965/66 hergestellt. Es wurden Anzeigen in deutschsprachigen Emigranten-Zeitschriften geschaltet. Zum Beispiel im Aufbau, einer deutsch-jüdischen Zeitschrift aus New York. Die Leser haben diese Anzeigen an ihre Verwandten weitergeschickt. Es gab eine Art Schneeball-Effekt, auch weil es viele Zusammenschlüsse von jüdischen Emigranten gab.

Wie waren diese Anzeigen formuliert?

Der Anlass war die Erarbeitung des Gedenkbuches zu den Opfern der Verfolgung. Herbert Weichmann war damals Bürgermeister – und praktizierender Jude. Er setzte sich nur zögerlich und sehr vorsichtig für eine Annäherung ein. Die ehemaligen Mitbürger wurden in Form der Anzeigen zur „Begutachtung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung ihrer ehemaligen Heimatstadt“ ermuntert.

Klingt ja nicht so einladend …

Offizielle Einladungen mit Aufarbeitungscharakter wurden erst 1981 wirklich ausgesprochen.

Warum?

Die Gründe waren für mich nicht zu hundert Prozent nachvollziehbar. Aber man kann annehmen, dass Weichmann die Zeit noch nicht für reif hielt. Mit Bezug auf seinen eigenen Hintergrund, vielleicht auch aus Angst vor den Reaktionen. Außerdem waren solche Einladungen teuer.

Wer hatte all die Adressen?

Die kamen aus der Senatskanzlei. Anfangs lief das so nebenbei, bis 1991 Carola Meinhardt zur Organisatorin des Besuchsprogramms wurde. Sie hat sich dann ausschließlich mit dem Kontaktieren und Koordinieren dieser Besuche beschäftigt. In West-Berlin wurde dafür ein ganzes Referat gegründet. Hamburg hat insgesamt 4.500 Personen eingeladen, Berlin rund 35.000. INTERVIEW: DJA

Vorlesung: 18.15 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee, Hörsaal K

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