: Die Kraft des Gewissens
PANTER-PREIS-KANDIDAT III Der US-Soldat André Shepherd ist Irak-Deserteur und will in Deutschland Asyl
■ Die Nominierten: Sechs Kandidaturen hat unsere fünfköpfige Jury für den diesjährigen Panter Preis ausgewählt; heute stellen wir Ihnen André Shepherd für diese Auszeichnung um Mut und Engagement vor. Der ehemalige US-Soldat im Irak hat in Deutschland den Kampf gegen völkerrechtswidrige Kriege initiiert und aus seiner Betroffenenperspektive an die Öffentlichkeit gebracht.
■ Die Verleihung: Am 18. September wird im Deutschen Theater Berlin der Panter Preis verliehen. Genau genommen sind es zwei Panter Preise, mit denen Projekte ausgezeichnet werden, die von persönlicher Courage geprägt sind. Beide Preise sind mit je 5.000 Euro dotiert. Einen Preis vergibt eine Jury aus tazlerInnen mit prominenter Hilfe, einen zweiten vergeben Sie.
■ Die Porträts: Seit vorvergangener Woche können Sie die KandidatInnen jeweils in der sonntaz und auf taz.de begutachten und schließlich jeneN, der oder die Ihnen am preiswürdigsten scheint, für den taz Panter LeserInnenpreis wählen. Nach Farzin Akbari Kenari, Kerstin Wessels/Steffen Pohl und André Shepherd stellen wir Ihnen an gleicher Stelle den vierten Kandidaten vor. Die Porträts und mehr Infos unter taz.de/panter.
VON MARGARETE STOKOWSKI
Als ich zur Armee ging, dachte ich, die Regierung brauchte Hilfe, um im Irak Massenvernichtungswaffen zu finden. Ich ahnte nicht, dass dieser Krieg eine riesige Lüge ist“, sagt André Shepherd, immer noch ehrlich empört. Der 33-Jährige ist inzwischen der erste US-amerikanische Deserteur, der in Deutschland Asyl beantragt hat – weil er das Lügen nicht mehr mitmachen wollte. Seitdem kämpft er für die Rechte von Kriegsdienstverweigerern und politischen Flüchtlingen. Er wird unterstützt von Connection e. V., einem Verein, der sich für Deserteure einsetzt. „Ich will, dass endlich auch von Deutschland anerkannt wird, dass der Irakkrieg illegal ist.“
Shepherds Geschichte beginnt wie die vieler anderer US-Soldaten mit Geldsorgen. Er wächst in Ohio auf, studiert Informatik. Trotz etlicher Jobs kann er seine Miete nicht zahlen. Im Sommer 2003 trifft er ein Rekrutierungsteam der US Army. „Man versprach mir Geld, ein Zuhause, medizinische Versorgung“, erinnert sich Shepherd. So verlockt, unterschreibt er einen Kontrakt mit dem Militär. Nach der Ausbildung wird er zunächst im deutschen Ansbach-Katterbach stationiert, von September 2004 an ist er im Irak als Mechaniker im Einsatz.
Die Hubschrauber, die er repariert, kämpfen auch in der Schlacht um Falludschah im November 2004. „Ich dachte, wir sollen dort Terroristen suchen. Stattdessen machten wir die Stadt unbewohnbar“, erzählt Shepherd. „Als ich hörte, wie viele Unschuldige starben, begann ich mich zu schämen.“ Im Dezember 2004 erklärt die CIA, dass Irak keine Massenvernichtungswaffen habe. Shepherd hofft, dass der Einsatz endet.
Im Februar 2005 wird er nach Deutschland zurückgebracht. Er arbeitet im Office eines Armeestützpunkts, kauft sich einen Computer, liest im Internet alles über den Irakkrieg. „Ich wollte wissen, was die Wahrheit ist. Von da an änderte sich mein Leben.“
2007 bekommt Shepherd den Befehl, ein zweites Mal in den Irak zu gehen. Nun weigert er sich. „Beim ersten Mal hatten wir ja alle keine Ahnung – aber jetzt wusste ich: Dieser Krieg ist völlig unbegründet.“ Eines Nachts packt Shepherd seine Sachen und verlässt den Stützpunkt – seitdem ist er „absent without leave“ – abwesend ohne Erlaubnis. 19 Monate lebt er im Untergrund, verdient Geld mit Gartenarbeit, lernt Deutsch.
Im November 2008 beantragt Shepherd Asyl in der Bundesrepublik – als erster US-Deserteur überhaupt. In seinem Antrag beruft er sich auf eine EU-Richtlinie, nach der Soldaten Asyl gewährt werden muss, die in ihrem Herkunftsland verfolgt werden könnten, weil sie sich weigern, an völkerrechtswidrigen Verbrechen teilzunehmen.
ANDRÉ SHEPHERD, US-DESERTEUR
Shepherd wird als Präzedenzfall schon bald eine Symbolfigur für Friedensgruppen und andere Organisationen. Mithilfe von Connection e. V. hält er Vorträge, arbeitet mit Schulklassen, gibt Pressekonferenzen und leistet Aufklärungsarbeit bei öffentlichen Veranstaltungen. In die USA zurückzukehren schließt Shepherd aus. Als Deserteur könnte er sogar zum Tode verurteilt werden. „Es würde so aussehen, als wäre die Sache geklärt. Aber der Krieg wäre damit nicht aus der Welt. Ich werde kämpfen, bis sich etwas ändert.“
Noch in diesem Sommer erwartet Shepherd die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über seinen Asylantrag. Shepherds Begründung, der Irakkrieg sei völkerrechtswidrig, muss das Bundesamt beantworten – eine extrem, auch außenpolitisch wichtige Frage. Viele Soldaten könnte Shepherd motivieren, sich dem Krieg zu verweigern.
Shepherd könnte eigentlich beruhigt sein – er ist mittlerweile mit einer Deutschen verheiratet und muss nicht fürchten, verhaftet zu werden. Aber: „Es geht mir nicht nur um einen sicheren Wohnort für mich – ich will auch anderen Hoffnung machen.“ Und: „Niemand darf gezwungen werden, in einem illegalen Krieg zu kämpfen. Spätestens wenn es irgendwann keine Armee mehr gibt, ist der Krieg vorbei.“