: Fast ein Leben
NACHRUF Hans-Georg Behr war Journalist, Drogenexperte, Schriftsteller, Exzentriker. Außerdem verkörperte er all das, was Konservative hassen. Nun starb der unkonventionelle 68er und große Schelm
VON MICHAEL SONTHEIMER
Will man ihm glauben, dann war er der einzige Mensch, der sowohl Adolf Hitler als auch Andreas Baader persönlich begegnet ist. Vor dem Nazi-Führer versteckte er sich, weil er Angst hatte, dass dieser ihn in die Backe kneifen würde, wie er das mit Kindern so machte. Vor dem RAF-Führer konnte er sich nicht verstecken, und dieser knallte ihm seine Knarre auf den Tisch.
Hans-Georg Behr eine schillernde Persönlichkeit zu nennen, wäre noch untertrieben. Ihn als Schriftsteller zu bezeichnen, entspricht in jedem Fall nur zur Hälfte der Wahrheit. Er war auch Theaterregisseur, Psychologe und Drogenexperte. Der in Hamburg gelandete Wiener war in einem Ausmaß ein Unikat, das nur wenige Menschen erreichen.
Der vergangene Woche verstorbene Behr war all das, was Konservative hassen: Er war Kommunist, Schwuler und Kiffer. Ein Außenseiter zu sein, der in der Bewegung von 1968 aufblühte, darauf war er ausgesprochen stolz.
Anlässlich des Erscheinens seines „Haschisch-Kochbuchs“ im Frühjahr 1970 dichtete ein Spiegel-Redakteur: „Hasch-Wilmenrod Behr, 33, als Wiener Jung-Dichter traditionsgemäß erst als Literatur-Emigrant in er Bundesrepublik zum Erfolg gekommen, geriert sich seit der Uraufführung seiner Zitaten-Collage ‚Ich liebe die Oper‘ im vergangenen Herbst als malerischer Extravagant mit Vollbart und Schlapphut. In einer Uniform, halb Zirkus-Magier, halb Salon-Landsknecht, mit glänzendem Rokoko-Fräckchen überm bestickten Seidenwams, mit Hippieketten, martialischem Eisengürtel und Knobelbechern, baut sich zielstrebig auf als lustige Pop-Figur.“
Behr war weit mehr als eine Pop-Figur. Er meinte es ernst und war ein sehr politischer Mensch. Er gehörte zu den Rebellen von 1968, die etablierte Autoritäten nicht zuletzt deshalb demontierten, um anschließend mindestens ebenso autoritär ihren eigenen Wahrheiten zu verkünden. Aber Behr musste gegen das Hergebrachte rebellieren, denn er trug die Last einer Familiengeschichte, die ihm kaum Alternativen ließ.
Geboren am 17. Mai 1937 in Wien als Sohn eines deutschen Nazis und einer Seitenlinie der Esterhazy entstammenden Österreicherin, war er ein richtiges Kriegskind. In seinem autobiografischen Roman „Fast eine Kindheit“ berichtet er von einem signierten Porträt Adolf Hitlers auf dem Schreibtisch des Vaters. Sein Kindermädchen habe ihn zu beten gelehrt: „Ich bin klein, mein Herz ist rein. Soll niemand drin wohnen als das Jesulein, und du mein lieber Führer auch.“
Hans-Georg erzählte, dass sein Vater aufgrund seiner leitenden Position im Reichsluftfahrtsministerium 1946 in Nürnberg hingerichtet wurde, aber dafür gibt es keine Beweise. Es sieht so aus, als habe sich Behr die künstlerische Freiheit genommen, einen Teil seiner Familiengeschichte zu erfinden. Er war ein anarchistischer Schelm.
Der Kunstprofessor Alfred Paris Gütersloh, so erzählte Behr, habe ihn mit dem Stoff bekannt gemacht, der ihn sein Leben lang begleiten würde, mit Cannabis, in Gestalt von Haschisch. Er studierte in Wien und später in London Psychologie und Philosophie.
Ökonomie der Drogen
Behr floh 1962 von Wien nach München. Neben den ersten Arbeiten als Schriftsteller versuchte er sich als Theaterregisseur, doch seine Inszenierungen, zum Beispiel von Shakespeares „König Lear“, wurden von der Kritik verrissen. Weniger aus Überzeugung, sondern zum Zwecke des Broterwerbs desertierte er Mitte der 1970er Jahre zum Journalismus. Er schrieb Reportagen für den Stern und Essays für den Spiegel. Später kommentierte er auch für die taz, doch es dauerte nie lange, bis er sich mit den Redakteuren überwarf.
Was seine Texte betraf, war Behr als praktizierender Egomane unbelehrbar. Redakteure, die sich erdreisteten, auch nur ein Komma in einem seiner Manuskripte zu streichen, sahen sich wütenden Attacken ausgesetzt. Wenn ihnen seine Pointen entgingen, waren sie selber schuld.
Es gab einen Redakteur, bei dem er nicht harthörig war: Karl Markus Michel, genannt „Carlos“. Den Mitbegründer und späteren Herausgeber des Kursbuchs respektierte und verehrte er. Beide mit einer profunden humanistischen Bildung ausgestattet, inspirierten sich spielend. Wenn Carlos Hans-Georg vorschlug, eine Passage zu streichen oder zu raffen, tat er es widerspruchslos.
Behr verlegte sich bald auf das Schreiben von Büchern, das ihm größere Freiheiten bot, und veröffentlichte 1982 mit „Weltmacht Droge. Das Geschäft mit der Sucht“ ein bahnbrechendes Werk.
Es war das erste auf Deutsch erschienene Buch, das die Verwicklung von Drogen, Waffenhandel und Geldwäsche offenlegte; das aufzeigte, dass große Chemiefirmen wie Bayer und Merck nicht nur Heroin und Kokain erfunden und bis zu ihrem Verbot beste Geschäfte damit gemacht hatten, sondern bis heute an der Ökonomie der Drogen profitieren.
Mit einem von italienischen Diplomaten zur Verfügung gestellten Pass recherchierte er mit gefälschter Identität im Goldenen Dreieck und im Goldenen Halbmond, den größten Opiumanbaugebieten der Welt. Katmandu, die Hauptstadt Nepals, wurde zu seiner zweiten Heimat. Im Gegensatz zu vielen sogenannten Drogenexperten nach ihm, schrieb er seine Bücher nicht einfach aus Polizei-, Geheimdienst- und Justizakten zusammen.
Nach der politischen Ökonomie der Drogen erforschte Behr die Kulturgeschichte des Cannabis und publizierte 1982 „Von Hanf ist die Rede. Kultur und Politik einer Pflanze“. Das Buch wurde zum Klassiker und Standardwerk. Behr wurde nun „Drogenapostel“ tituliert, doch das ärgerte ihn ebenso, wie wenn er „Guru“ genannt wurde.
Er hatte ein ebenso offenes wie kritisches Verhältnis zu Rauschmitteln. In seinem Hanf-Buch schrieb er: „Jede Droge hat ihren Preis und es gibt keine, die nicht ab einem bestimmten Punkt gefährlich wird.“
Wie alle vernunftgeleiteten Menschen, die sich gründlicher mit der Drogenpolitik beschäftigen, argumentierte Behr gleichwohl für die Entkriminalisierung des Konsums illegaler Drogen. Seine öffentlichen Plädoyers für die Legalisierung von Cannabis brachte ihm wohl eine Hausdurchsuchung und ein sich über Jahre hinziehendes Verfahren wegen „geistigen Mitbesitzes“ von Haschisch ein, das Polizisten in der Tasche eines Mitbewohners gefunden hatten.
Behr führte als geselliger Mensch ein gastliches Haus. Als exzellenter Koch verwöhnte er seine Gäste vorzugsweise mit Wiener Spezialitäten. Bei Tisch diktierte er im Kreise seiner Adepten das Gespräch. Sein Wiener Akzent und seine gelegentlich ins Tuntige changierende Sprachmelodie gingen eine einmalige Mischung ein.
Gell, du baust noch einen
Ohne eine Lesung aus seinen Texten, bei denen Akklamation gefordert war, gelangte man nicht von der Küche ins Wohnzimmer. Die Nächte bei Hans-Georg waren lang. Nur so hartgesottene Kiffer wie den vormaligen Haschrebellen Bommi Baumann rauchte er nicht unter den Tisch. Zu den Pfeifen und Joints kamen Schnaps und gelegentlich mal eine Linie Koks.
Immer wieder rief Hans-Georg mit schnarrender und herrischer Stimme „Ecke! Gell, du baust noch einen.“ Dann musste sein Wohngenosse und späterer Gatte Eckehard Dück einmal mehr Cannabis in eine rauchfertige Form bringen. Es war unmöglich, das gastliche Haus in Winterhude vor drei Uhr morgens und nüchtern zu verlassen.
Neben seinen jungen Freunden hing Hans-Georg an seiner Mutter. Als „die Mama“ oder „alte Dame“ wie er sie nannte, schwer erkrankte, zog er nach Wien, um sie zu pflegen – bis sie im Alter von 99 Jahren starb. Gegen ihre Schmerzen gab er ihr Haschischtinktur.
Zur Enttäuschung seiner jungen Freunde, die Hanfmuseen und -paraden sowie Kampagnen für die Legalisierung von Cannabis auf die Beine stellten, interessierte Hans-Georg das Thema Drogen zunehmend weniger. Ihm war klar, dass es wichtigere Menschheitsfragen gibt. Er reiste in seine Vergangenheit und veröffentlichte den ersten Band seiner Autobiografie: „Fast eine Kindheit“, über die Hubert Spiegel in der FAZ schrieb: „Kunstvoll und schrecklich ist dieses Buch.“ Er hatte seinen eigenen Ton gefunden: lakonisch, ironisch, komisch. Die etablierte Literaturkritik sang Loblieder auf den Außenseiter.
Vor fünf Jahren erlitt Behr in Berlin einen schweren Schlaganfall. Er hatte keine Krankenversicherung und fuhr zu spät ins Krankenhaus. Von nun an saß er im Rollstuhl. Sein Geist blieb klar, sein Humor wurde sarkastischer; noch sarkastischer als er es schon immer war.
Zur Feier seines 70. Geburtstages waren junge Männer und alte Hamburger Freundinnen erschienen, zum Beispiel die Journalistin Peggy Parnass und die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Hans-Georg gab auf dem Schinkelplatz in Hamburg-Winterhude eine Audienz, wo er über 25 Jahre gelebt hatte. Hier hatte er Büchners „Leonce und Lena“ als Straßentheater inszeniert, hier hatte er ein Standbild des Hindu-Gottes Ganesh aufstellen lassen.
Er klagte über die „Matratzengruft“, in die ihn seine Lähmung geworfen hatte. Vor gut zwei Wochen kam er zu der Überzeugung, dass es nun genug sei. Er hörte auf zu essen, trank nur noch Prosecco und rauchte Haschisch. In der Nacht zum Freitag der vergangenen Woche starb der Exzentriker Hans-Georg Behr im Alter von 73 Jahren friedlich im Schlaf.