: Niemand wartet auf dich
AUFTAKT Die 42-jährige Schriftstellerin und Drehbuchautorin Terézia Mora eröffnete am Dienstag ihre Frankfurter Poetikvorlesungen mit einer konzentrierten Selbstbefragung
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Wer seine Höhle verlässt, begibt sich in Todesgefahr. Das wurde der Schriftstellerin Terézia Mora wieder einmal deutlich vor Augen geführt, als sie sich im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrer sechsjährigen Tochter den Animationsfilm „Croods“ anschaute. Auch der Beginn des Erzählens ist ein Wagnis. Man setzt sich aus, liefert sich aus, gibt sein Leben öffentlich Preis. Es ist ein Schritt hinaus in die Öffentlichkeit. Und so hat Terézia Mora dem ersten von fünf Teilen ihrer Frankfurter Poetikvorlesungen mit dem Titel „Nicht sterben“ den Untertitel „Aus der Höhle kommen. Das erste Buch“ gegeben.
Mora, geboren 1971 im ungarischen Sopron, nahe der Grenze zu Österreich, nicht weit entfernt vom Neusiedlersee, ist zurzeit viel beschäftigt: Im Oktober gewann sie völlig zu recht mit ihrem großartigen Roman „Das Ungeheuer“ den Deutschen Buchpreis; nun spricht sie in Frankfurt an fünf aufeinander folgenden Dienstagen über ihr Schreiben und Arbeiten; hinzu kommt die obligatorische Lesung aus dem Werk und noch dazu eine Lesung in den Räumen der Frankfurter Sparkasse, die 2013 zum letzten Mal als Hauptsponsor des Buchpreises fungierte. Frankfurter Mora-Wochen also.
Deutsch wie Kafka
„Ich bin ebenso deutsch wie Kafka“ – diesen Mora-Satz rückte Susanne Komfort-Hein, Professorin für Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, in den Mittelpunkt ihrer kurzen Begrüßung im wie üblich prächtig gefüllten großen Vorlesungssaal auf dem Campus Westend der Goethe-Universität; eine Absage an das starre Konstrukt einer klar umrissenen Nationalliteratur in Zeiten globalisierter Bewegungen. Danach begann Terézia Mora zu sprechen, und es schien, als müsse sie sich erst hineinfinden in den eigenen Text; hatte ihr Vortrag zunächst doch etwas Zögerliches, Stockendes, Tastendes, wie sie auch den Anfang des literarischen Schreibens als prinzipielles Scheitern umschrieb.
Zunächst einmal gelte es herauszufinden: „So geht es nicht.“ Das Du, an das Mora sich in ihrer Vorlesung richtet, ist ein dreigeteiltes: die bereits erwähnte Tochter, die Studierenden ihrer Schreibklasse – und die Autorin selbst, die sich immer wieder über ihre eigenen Bedingungen, Möglichkeiten, Begrenzungen und Fähigkeiten befragt. „Nicht sterben“, so verhieß es zumindest der erste Teil, ist erfreulicherweise angelegt als ein konzentriertes, schonungsloses und nicht auf die schnelle Pointe angelegtes Selbstgespräch, das der eigenen Biografie als Weg zum Künstlertum noch einmal nachgeht.
„Wie kommst du zum ersten Buch? Wie zum ersten Roman? Wie zu den Figuren?“ Und dahinter die nicht explizit ausgesprochene Frage: Wie kommst du zu dir? Und wie kommst du von dir, von einem privaten Sprechen hin zu einem poetischen Sprechen? „Wir bestehen aus Sprache“, sagt Mora.
Die Konsequenz daraus ist, dass alles, was wir hören und seit frühester Kindheit aufnehmen, in das einfließt, was wir später formulieren werden: „Wie hat die Politik geredet, als du klein warst? Was war deine Epoche (du hast eine!)?“
Im Fall von Terézia Mora heißt Sprachfindung und Persönlichkeitsbildung, hineingeboren worden zu sein in „mehrere durchweg autoritäre Systeme“, in eine „Sprache der Repression“. Westungarn in den siebziger und achtziger Jahren. Der Sozialismus nur als oberste Schicht, als Firnis, der sich über die darunterliegenden Schichten gelegt hat, über die bäuerliche Lebensweise, den Katholizismus, das Leben als Teil einer ethnischen und sprachlichen Minderheit.
Wasser, Schilf, Schlamm
Aus diesem Milieu heraus entwickelte sich die erste Geschichte. Aus der ersten Geschichte entwickelte sich der erste Band mit Geschichten, „Seltsame Materie“, das erste Buch, erschienen 1999. Erstaunlich präzise, klar, geradezu systematisch kann Mora über die Genese der eigenen Texte Auskunft geben. Zuerst sei da das Material, das Wasser, der Schilf, der Schlamm ihrer Kindheit, „immer erst die konkreten Dinge, dann das, wofür sie stehen.“
Anhand ihrer ersten Erzählung, zunächst gedacht als ein Drehbuch für die Deutsche Film- und Fernsehakademie, an der sie studiert hat, entwickelte Mora die Konzeption eines Erzählungsbands: Ein Mädchen in zu großen Gummistiefeln, das Regenwürmer sammelt für den Großvater. Der Großvater, der betrunken nach Hause kommt und den gefangenen Fisch in den Schlamm des Hofs fallen lässt und der später am Tisch sitzt, mit ’ner Flasche Wein. In was für ein Buch, so fragt sich Mora, gehört diese Geschichte? Wie erzählt man sie?
„Vertraue deiner Methode, aber verliebe dich nicht in sie“, heißt ein Leitsatz Moras, ein anderer: „Nutze es, dass niemand auf dich wartet, und stell dir vor, dass das bei jedem Buch so ist.“ 2004 erscheint ihr Roman „Alle Tage“. Davon kommende Woche mehr.