Beziehung im Zeitloch

In Alejandro Agrestis übernatürlichem Liebesfilm „Das Haus am See“ können Keanu Reeves und Sandra Bullock nicht zueinander finden

Um die Schwierigkeiten des Filmemachens zu schildern, erzählt man immer wieder gerne folgende Anekdote: Ein Drehbuchschreiber wird nachts von einer guten Idee aus dem Schlaf gerissen, die er sogleich auf einem Zettel notiert. Er schläft wieder ein. Was liest er am nächsten Morgen auf dem Zettel? „Boy meets girl“.

Auch „Das Haus am See“ von Alejandro Agresti geht mehr oder weniger auf diese im Grunde immer noch gute Idee zurück. Wobei das Wesentliche der Paarungsgeschichten ja in der Überwindung der Hindernisse besteht, die das Zusammenkommen der Liebenden zunächst hinauszögert. In „Das Haus am See“, dem amerikanischen Remake eines südkoreanischen Films, ist der Aufbau dieser Hindernisse so elaboriert, dass er dem Zuschauer einiges abverlangt. Er scheint direkt aus der tiefsten Traumphase zu stammen und ist deshalb schwer nachzuerzählen, ohne sich in Unlogischem zu verstricken. Am Anfang also sieht man Sandra Bullock aus einem Haus ausziehen, es handelt sich um ein wahres Architektenjuwel: fast ganz aus Glas, an einem See gelegen, einsam, direkt über dem Wasser. Sie schreibt einen Brief an ihren Nachmieter, in dem sie um Nachsendung der Post bittet und sich für hinterlassene Hundespuren entschuldigt. Der Nachmieter, Keanu Reeves, beantwortet den Brief mit einem mehr als befremdeten Schreiben: Das Haus am See, in das er gerade einzieht, ist seit Jahren unbewohnt.

Bevor sich der Zuschauer nun allzu sehr den Kopf über diese Divergenzen der Wahrnehmung zerbrechen muss, klären sich die beiden Mieter gegenseitig auf, indem sie ihre Briefe genauer betrachten und feststellen, dass ihre Daten nicht übereinstimmen: Keanu Reeves lebt 2004, Sandra Bullock bereits 2006. Der vermeintliche Nachmieter ist also eigentlich der Vormieter, eine Tatsache, an die sich die Protagonisten überraschend schnell gewöhnen.

Aber wie das so ist bei „übernatürlichen“ Filmen: Das Unwahrscheinliche und Unglaubliche sind nicht Selbstzweck, sondern lediglich ein Verfahren, um die Grundidee der Liebesgeschichte zu variieren. Und das funktioniert in „Das Haus am See“ zunächst ganz gut: Reeves und Bullock schreiben sich bald intensiv Briefe über das Zeitloch hinweg. Als Übermittler dient der Briefkasten vor dem Haus am See, bei dem sich die rote Fahne bald im Stakkato-Rhythmus von selbst aufstellt, was dem Film für kurze Zeit eine angenehm humorige Note verleiht. Und wie das oft so ist bei verhinderten Beziehungen: Die Unmöglichkeit der direkten Begegnung erschafft erst die Gelegenheit, sich richtig kennen zu lernen. In einer selbstironischen Wendung handelt „Das Haus am See“ im Grunde davon, dass diese beiden 30-Plus-Großstädter gar keine andere Möglichkeit haben zusammenzukommen, außer eben das Übernatürliche. Die „natürlichen“ Chancen nämlich haben sie sämtlich ungenutzt verstreichen lassen.

Wie die meisten „Zeitschlaufen“-Filme ist auch „Das Haus am See“ ein Film über Depression, über das Gefangensein in Lebensmustern, die sich wiederholen. In den Nebenhandlungen werden die Figuren von Reeves und Bullock im jeweils familiären Kontext gezeigt: Reeves mit einem unnahbaren Vater, Bullock in einer wenig befriedigenden Beziehung. Aber so ganz ernst nimmt der Film diese zwei unterschiedliche Leben dann doch nicht, schließlich soll es darum gehen, wie die beiden zusammenkommen. Das gibt Anlass für schöne Absurditäten: Reeves geht auf Bullock 2004 zu, da sie damals aber noch nichts von ihm weiß, kann er nur hinterher darüber schreiben. Dann wieder wartet sie 2006 auf einen Telefonanruf, der nicht erfolgt. Schließlich verabreden sie sich in einem Restaurant. Aber auch dieses Date schafft Reeves nicht.

Das Genre des Übernatürlichen gibt vor, dass es eine Art Auslöser für die Zeitschlaufe geben muss, und erfahrene Kinogänger wissen, dass dieser Auslöser meist mit dem Tod zu tun hat. Dem depressiven Ende entzieht sich der Film aber zum Schluss, indem er einfach zwei verschiedene Versionen anbietet, was dem Zuschauer vielleicht doch zu viel abverlangt.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Das Haus am See“. Regie: Alejandro Agresti. Mit Keanu Reeves, Sandra Bullock u. a. USA 2006, 105 Min.