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Archiv-Artikel

MARIE-LUISE DECHANGE, TAFELGRÜNDERIN Die honorige Bürgerin

Marie-Luise Dechange, 65

■ betreut neben der Tafel Frauen in schwierigen Lebenslagen, vermittelt bei Schulbesuchen und Amtsterminen Foto: privat

Die ehemalige Leiterin der Flensburger Löhmann-Schule hatte nie vor, die Füße hochzulegen. „Wenn du mal im Ruhestand bist, übernimmst du ein Ehrenamt“, hatte sie sich vorgenommen. Seit zwei Jahren ist Marie-Luise Dechange nicht mehr im Schuldienst. Jetzt hat sie die Tafel Nord Flensburg gegründet. Indes: Flensburg hat bereits eine Tafel.

Um das zu erklären, muss Marie-Luise Dechange etwas ausholen. Das tut sie nicht gerne. Zum einen spreche sie ungern über sich, sagt sie, und zum anderen hole sie nicht gerne aus. Die ehemalige Hauptschullehrerin spricht in abgezählten, knappen Sätzen: „Ich möchte präzise sein“, sagt sie, „ich werde schnell ungeduldig, wenn andere ins Schwafeln geraten.“

Vor zehn Jahren gründete sie für den Lions-Club Flensburg einen Damenclub. Dieser unterstützte die örtliche Tafel mit einer monatlichen Spende. Im vergangenen Jahr kam Reinhold Pevestorf, der Ländervertreter der Tafel in Schleswig-Holstein, mit einer Warnung auf Dechange zu. Ihm seien Verstöße gegen die Bundesrichtlinien zu Ohren gekommen. Waren würden an Bedürftige verkauft und Leiter missbrauchten ihre Macht. Der Streit zwischen Bundesvorstand und Tafel Flensburg eskalierte und ein internes Verfahren wurde eröffnet, um der Filiale den Namen zu entziehen. Dazu kamen laut Pevestorf noch zwei Anzeigen von Bürgern wegen Betrug und Steuerhinterziehung. Da sich solche Verfahren hinziehen und Pevestorf „nicht Recht haben möchte auf Kosten der Bedürftigen“, entschloss er sich, solange das Verfahren läuft, eine parallele Tafel zu gründen – „diesmal mit honorigen Bürgern“, wie er betont.

Zu diesen honorigen Bürgern zählt Marie-Luise Dechange. Den Fokus ihres Engagements legt sie auf die Armutsbekämpfung, da könne sie am meisten bewirken. Ihr sei es immer gut gegangen, sagt sie: „Eine Woche Arbeit bei der Tafel, was ist das schon?“

Gemäß dem Credo „Armut sichtbar machen“ zieht sich die Warteschlange der alten Tafel noch über den Busbahnhof. Dechanges erste Amtshandlung wird das ändern: „Ich will Armut nicht verstecken, aber man darf die Menschen auch nicht vorführen.“ HOLGER FRÖHLICH