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Archiv-Artikel

Weiter in Haft

SICHERUNGSVERWAHRUNG Karlsruhe lehnt erneut die sofortige Freilassung eines Sexualstraftäters ab

FREIBURG taz | Das Bundesverfassungsgericht spielt weiter auf Zeit. Schon zum dritten Mal lehnte es Karlsruhe ab, einen Sicherungsverwahrten, der sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beruft, sofort aus der Haft zu entlassen. Der Häftling solle warten, bis über seine Klage im „Hauptsache-Verfahren“ entschieden werde. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin wird das vermutlich erst im Herbst sein.

Im Dezember 2009 hatte der Straßburger EGMR im Fall eines deutschen Häftlings entschieden, dass die Sicherungsverwahrung keine Prävention, sondern Strafe ist – weshalb auch das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze gelte. Im Mai wurde das Urteil rechtskräftig, der Häftling musste freigelassen werden. In seinem Fall war die Sicherungsverwahrung angeordnet worden, als sie gesetzlich noch auf zehn Jahre befristet war. Erst 1998 wurde die Frist aufgehoben. Für Altfälle war das jedoch unzulässig, so damals der EGMR.

Seitdem wird in Deutschland darüber gestritten, wie viele Sicherungsverwahrte von dem Urteil profitieren. Schätzungen zufolge gibt es mindestens 70 weitere Altfälle, die sofort freigelassen werden müssten. Doch die Landesjustizminister und die meisten Gerichte blocken. Kaum jemand will die Freilassung von Personen verantworten, die zwar ihre Strafe und eine zehnjährige Sicherungsverwahrung abgesessen habe, laut Gutachten aber immer noch als gefährlich gelten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits zweimal eine sofortige Freilassung abgelehnt.

Im aktuellen dritten Fall ging es um eine 2009 nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung. Ein Berliner Sexualverbrecher war erst in der Haft als fortdauernd gefährlich erkannt worden. Auch er rügte einen Verstoß gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot: Als er 1990 wegen Mordes verurteilt wurde, habe es noch keine nachträgliche Sicherungsverwahrung gegeben. Der Bundesgerichtshof hatte im Mai einen ähnlichen Fall als Parallelfall anerkannt und einen 61-jährigen Mann aus dem Saarland sofort freigelassen.

Karlsruhe verwies im Fall des Berliners dagegen wieder einmal auf (nicht näher beschriebene) offene Rechtsfragen. Bis zu deren Klärung gehe der Schutz der Bevölkerung dem Freiheitsrecht des Gefangenen vor.

CHRISTIAN RATH