„Eine angstfreie Gesellschaft braucht weniger Kontrolle“

TERROR Es gibt Alternativen zu mehr staatlicher Überwachung, sagt Sicherheitsforscher Perron

■ 53, ist Professor für Strafrecht an der Uni Freiburg sowie Direktor der Forschungsgruppe „Centre for Security and Society“.

taz: Herr Perron, Sie haben an der Uni Freiburg eine Konferenz zum Thema „Resilienz in der offenen Gesellschaft“ organisiert. Was bedeutet Resilienz?

Walter Perron: Wir bezeichnen damit die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft, ihre Fähigkeit, nach einem schweren Schadensereignis wieder zum normalen Leben zurückzukehren.

Sie meinen Terroranschläge?

Nicht nur. Auch nach einer Naturkatastrophe muss eine Gesellschaft wieder Tritt finden. Rückenwind erhielt die Resilienz-Forschung nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Was interessiert Sie an diesem Konzept?

Als Jurist habe ich die Sorge, dass unsere freie Gesellschaft aus Angst vor Terror zu viel Überwachung einführt. Vielleicht lässt sich Big Brother aber vermeiden, wenn die Gesellschaft selbstbewusster und damit widerstandsfähiger wird.

Ist Resilienz ein Alternativkonzept zur Terrorprävention der Sicherheitsbehörden?

Die Konzepte verhalten sich wie kommunizierende Röhren. Wenn die Gesellschaft weniger Angst vor Anschlägen hat, wird sie die Menschen auch weniger kontrollieren.

Müssen Gesellschaften also lernen, mit Risiken zu leben?

Wenn sie es tun, sind sie weniger verwundbar. Außerdem kann die Polizei ohnehin nie garantieren, dass alle Anschlagspläne rechtzeitig entdeckt werden, auch deshalb muss die Gesellschaft mit den Folgen möglichst gut umgehen können.

Was muss eine Gesellschaft konkret tun?

Wir müssen den Katastrophenschutz verbessern und wir müssen dafür sorgen, dass wichtige Infrastrukturen wie die Energie- und Wasserversorgung, die Transport- und Kommunikationssysteme weniger anfällig werden, dass ein einzelner Anschlag weniger Schaden anrichten kann. Eine dezentrale Energieversorgung ist so gesehen besser als eine Struktur mit wenigen großen Kraftwerken.

Geht es bei der Resilienz vor allem um Technik?

Nein, es geht zum Beispiel auch um Soziologie und Psychologie. Eine Frage ist: Was macht eine Gesellschaft optimistisch?

Interessiert sich die Politik für dieses Konzept?

Ja, sehr. Bevor wir aber Rezepte entwickeln, müssen wir Grundlagenforschung leisten und das Resilienz-Konzept kritisch prüfen. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH