: Alte Freundschaften, neue Beziehungen
Jones Kwesi Evans’ Lebensgeschichte „Ich bin ein Black Berliner“ erzählt nicht nur die Geschichte eines Afrikaners in Deutschland, sondern auch von Berlin als einer Stadt, in der man zu Hause und dennoch unterwegs sein kann
In den Augen seiner Familie daheim in Ghana hat Jones es geschafft: Er ist mit einer Europäerin verheiratet, wohnt in Berlin, hat einen kleinen Sohn und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Dort verdient er sein Geld. Europa – für die Familie und Freunde in Ghana kann dieser einfache Name eines Kontinents für nichts anderes als für die Hoffnung auf ein sorgenfreies Leben stehen. „Ich besaß drei europäische T-Shirts, also war ich ein reicher Mann“, so beschreibt Jones die Logik, nach der man sein deutsches Leben zu Hause in Accra beurteilt.
Jones lebt einen afrikanischen Traum – aber dass dieser Traum über weite Strecken eher an einen Albtraum denken lässt, davon kann er in Ghana niemandem erzählen. Nicht von der Arbeit in der Küche eines Burger-Ladens, nicht von den Problemen mit den Behörden, nicht von den ständigen Geldsorgen und auch nicht von den Schwierigkeiten mit den provinziellen Schwiegereltern oder dem alltäglichen Rassismus des Vermieters. So lebt Jones zwischen den Welten – für die Deutschen in Berlin ist er der Afrikaner und insofern fremd, aber für die Freunde zu Hause in Ghana ist er der Europäer und dadurch mindestens ebenso fremd.
Von diesem Leben erzählt Jones Kwesi Evans in seinem Buch „Ich bin ein Black Berliner“ – das von Kai Schubert und Robin Schmaler aufgeschrieben wurde. Diese Geschichte umfasst die rund zwanzig Jahre, die zwischen Jones’ Ankunft in Deutschland 1984 und der Gegenwart liegen, und sie erzählt außer der ganz persönlichen Geschichte nebenbei auch eine Deutschlands und insbesondere Berlins in diesen Jahren.
Zum Beispiel von der Wende 1989: In Jones Ton ist die Erinnerung frei von jeder pathetischen Umbruchs-Ergriffenheit, von Überwältigungen und Gefühlsaufwallungen; stattdessen kommt sie leicht ironisch und sehr distanziert daher. Wie diese Geschichte changiert zwischen der Genervtheit des Westberliners angesichts der Menschenmassen, die da in seine alltägliche Lebenswelt einbrechen und bei Aldi die Regale leerräumen einerseits, und dem erst allmählich einsetzenden Bewusstsein andererseits, man erlebe da einen historischen Umschwung hautnah mit – das ist vielleicht nichts Neues, aber gewinnt aus der Perspektive desjenigen, der die Dinge immer ein bisschen von außen beurteilt, eine eigene Intensität.
Die Außenseiterrolle wird dabei bewusst auch immer wieder unterwandert – Jones ist ganz ausdrücklich auch einer von diesen verwirrten Westberlinern mit ihren widersprüchlichen Gefühlen, etwa wenn er sagt, „langsam gewöhnten wir uns an den Taumel, der Berlin erfasst hatte“.
Das Bild von Berlin, das Jones auf diese Weise in seiner Lebensgeschichte entstehen lässt, ist deshalb ein doppeltes: auf der einen Seite das sozusagen offizielle Bild einer sich verändernden Stadt im Umbruch, aber auf der anderen auch das sehr persönliche Bild einer Stadt, die allmählich und fast unmerklich zur Heimat wird für denjenigen, der eigentlich immer unterwegs gewesen ist. Berlin ist der Ort, an dem man zu Hause sein kann und dennoch unterwegs – das zeigt Jones’ Geschichte vor allem anderen.
Seine Liebe zu Anna, deretwegen er ursprünglich nach Deutschland gekommen war, das Zerbrechen dieser Liebe im Alltag, der Traum von einer richtigen Berufsausbildung, die Erziehung des Sohnes, alte Freundschaften und neue Beziehungen – so, wie Jones Kwesi Evans in all diesen Bewegungen steckt und aus ihnen sich selbst herausliest, wird deutlich, dass es gerade das Unterwegssein ist, das sein Leben ausmacht. Den Brief von der Ausländerbehörde, in dem ihm zu Anfang des neuen Jahrtausends schließlich die deutsche Staatsbürgerschaft angeboten wird, legt er deshalb nach kurzem Zögern auf die Seite. Ghanaischer Staatsbürger mit unbeschränktem Aufenthaltsrecht in Deutschland – das ist schon ganz gut so. ANNE KRAUME
Jones Kwesi Evans: „Ich bin ein Black Berliner“. Herder Spektrum, Freiburg 2006, 221 SeitenBuchvorstellung mit Jones Kwesi Evans: heute, 20 Uhr, Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32