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„Vor Olympia 2020 kann ich nur warnen“

Die WM war eine riesige Werbung für Berlin, sagt der Tourismusexperte Karl Born. Vor allem nächstes Jahr könne die Stadt nun mehr Touristen erwarten. Berlin sei jetzt als Reiseziel ein Muss, sagt der einstige TUI-Manager. Olympische Spiele aber seien zu emotionslos, um den Erfolg der WM zu wiederholen

Interview PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Born, in zwei Tagen ist die Fußball-Weltmeisterschaft vorbei. Kommt am Montag der Kater?

Karl Born: Vielleicht nicht gleich am Montag. Aber in den nächsten zwei bis drei Wochen bestimmt. Nach der ganzen Euphorie wird die Konfrontation mit der Wirklichkeit ziemlich schmerzhaft sein.

Sie haben vor der WM gesagt, das Turnier könne einen Touristen-Boom in Deutschland auslösen , wenn alles gut läuft. Hat Berlin alles richtig gemacht?

Absolut. Berlin hat sich als weltoffene Stadt präsentiert. Ich muss zugeben, nach der Diskussion über die No-go-Areas im Vorfeld hatte ich gewisse Befürchtungen. Zum Glück hat es keine entsprechenden Übergriffe gegeben. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn die Reporter aus aller Welt in ihren Berichten ein solches Bild von Deutschland transferiert hätten. Für den Tourismus wäre das die absolute Katastrophe gewesen.

Sie sind Tourismusexperte. Wie sehen die Bilder von Berlin aus, die Ihrer Meinung nach bei den Leuten hängen geblieben sind?

Bilder von feiernden Menschen aller Hautfarben, die sich auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor jubelnd in den Armen liegen. Der Begriff ist ein bisschen abgelutscht, aber ich verwende ihn trotzdem: Das Ganze hatte einen starken Touch von Multikulti. Das war früher immer mein Traum, dass Multikulti so aussieht. Das Bild der Stadt war kein bisschen von Muffigkeit geprägt.

Haben Sie sich auch gefragt, wo der muffelige Berliner geblieben ist?

Es gibt ihn noch. Ich habe ihn erlebt. Ich würde dazu aber nicht muffelig sagen. Kurz angebunden trifft es besser. Mich stört das nicht. Das gehört zu Berlin dazu. Man könnte fast sagen, die Leute erwarten, dass die Berliner so sind. Der Tourist freut sich immer, wenn er die Dinge so vorfindet, wie er sie erwartet hat. Trotzdem: die Leichtigkeit, mit der in Berlin gefeiert worden ist, war schon enorm. Die Reaktion der Ausländer, mit denen ich bei meinen Berlin-Besuchen in den Wochen der WM gesprochen habe, war nahezu einhellig: Das haben wir euch nicht zugetraut.

Die Erwartung, dass die WM eine großen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich bringt, hat sich allerdings nicht erfüllt.

Ich habe diese Erwartungshaltung von Anfang an für übertrieben gehalten. Fußballfans sind keine Touristen im klassischen Sinne.

Wo ist der Unterschied?

Da ist zum einen die Aufenthaltszeit. Fans kommen zeitnah zum Spiel und gehen zeitnah. Sie konzentrieren sich auf die Innenstadt. Sie übernachten möglichst preiswert und kaufen überwiegend Merchandising, also Fanartikel. Fans gehen nicht in Boutiquen. Sie gucken sich auch nicht das Umland an. Das ist bei allen Großveranstaltungen der Welt so. Der Schub kommt ein Jahr später. Das ist empirisch belegt.

Das müssen Sie uns erklären.

Bei so einem Ereignis wie der WM sind ja nicht nur die Sportreporter aus aller Welt vor Ort. Von den Frauenzeitschriften über die Gaststättenzeitschriften bis hin zu den Reisezeitschriften – die ganze Medienlandschaft wird weltweit mit Berichten bestückt. Das bedeutet riesige Werbung. Sidney hat 2001, ein Jahr nach der Olympiade, die besten Besucherzahlen aller Zeiten gehabt. Portugal war vor der EM 2004 im totalen Tief, was Besucherzahlen angeht. Auch Portugal hat einen kräftigen Schub bekommen. Querbeet ist das so. Wenn das Ereignis gut war, kommen die Leute ein Jahr später.

In Berlin sind die Touristenzahlen ohnehin ständig im Steigen begriffen. 2004 wurden 13,8 Millionen Übernachtungen verzeichnet, 2005 waren es bereits 14, 6 Millionen. Für 2010 lautet die Prognose der Tourismus Marketing GmbH 18 Millionen. Ständig werden neue Hotels gebaut. 1993 gab es noch 34.000 Gästebetten in der Stadt, jetzt sind es schon 85.000. Besteht nicht die Gefahr, dass plötzlich der Kollaps kommt?

Natürlich wird es Hotels geben, die Probleme haben, ihre Betten voll zu bekommen. Aber das ist dem Gast doch piepegal. Der Vorteil der hohen Bettenzahl sind unglaubliche attraktive Angebote in der Vor- und Nachsaison. Zurzeit besteht aber keinerlei Anlass zur Sorge: Berlin ist mitten im Boom drin.

Was bedeutet Boom genau?

Boom heißt: Es ist ein Muss für jedermann, dorthin zu reisen. In Europa steht Berlin aus dieser Sicht zurzeit an erster Stelle. Weltweit ist die Stadt bestimmt unter den Top fünf wie Schanghai und Dubai.

Was ist mit New York?

New York gehört auch dazu. Immer noch. In New York gab es vor ein bis zwei Jahren allerdings erste Sättigungstendenzen: Preise zu hoch, Leute zu unfreundlich. Jetzt geht es wieder. Ich persönlich habe im Moment aber null Bock, nach New York zu fahren. Diese restriktiven Einreisebestimmungen sind für den Tourismus einfach hinderlich. Abhängig zu sein vom Goodwill und der Tagesform irgendeines Immigration-Officers, das gefällt mir nicht.

Macht ein Tourist seine Reiseentscheidung wirklich von der Berichterstattung in den Medien abhängig?

Das Fernsehen – im Sinne von Neugierigmachen – spielt eine große Rolle. Fernsehen setzt Emotionen frei, viel mehr als Reiseführer. Freunde und Bekannte, die schon vor Ort waren, sind auch ein großer Multiplikator. Auch bestimmte Präferenzen, wie kulturelle Interessen, geben den Ausschlag für die Wahl des Reiseziels.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit will nun Olympia 2020 nach Berlin holen. Halten sie das für sinnvoll?

Ich kann da nur warnen. Eine Olympiade löst nicht so starke Emotionen aus wie eine WM. Bei Olympischen Spielen bekomme ich keine Fanmeile mit Hunderttausenden voll. Aber zu so einer Diskussion musste es ja kommen, so wie Berlin gestrickt ist.

Wie meinen Sie das?

Ich meine dieses ständige superkleinliche Hickhack, wenn es in Berlin um neue Ideen geht. Die einen sind total euphorisiert, die anderen machen es bürokratisch kaputt. Dass es im Verlauf der WM bisher überhaupt keinen negativen Klang gegeben hat, hat mich schon fast gewundert. Wenn ich den Berlinern an dieser Stelle einen Rat geben darf: Leute, überzieht nicht. Seid zufrieden, dass ihr die Nummer mit der Weltmeisterschaft so gut hinbekommen habt.

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