Die Zeit der Ruhe ist vorbei
Die Nörgelei geht wieder los – die Alphamännchen mögen die Kanzlerin nicht mehr
Eine ganze Weile lang hatte man seine Ruhe. Manchmal in den vergangenen Monaten rieb man sich sogar erstaunt die Augen und fragte sich, wo sind sie eigentlich hin die ganzen Reformschreihälse, die Hans-Olaf Henkels und Dieter Hundts dieser Welt? Sitzen sie jetzt in einem Kanzleramtsvorzimmer herum und reformieren das Land in ihrem Sinne? Oder warum hört man nichts mehr von ihnen? Und für einen kurzen Augenblick, als es neulich hieß, Sabine Christiansen werde ihre Sendung abgeben, gab es tatsächlich Anlass zu dem Glauben, diese Ruhe könnte von Dauer sein.
Zu früh gefreut. Die Deutschland-Nörgelei geht weiter. Und wenn man die Texte so liest, mit denen der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und Gabor Steingart, der Leiter des Berliner Spiegel-Büros, gestern auf den Doppelschlag der deutschen WM-Niederlage gegen Italien und den Kompromiss bei der Gesundheitsreform reagierten, schwant einem Böses. Es geht wieder los. Irrer als zuvor. Steingart etwa möchte sogar jenen Gerhard Schröder zurückhaben, den er vergangenes Jahr noch Woche für Woche aus dem Amt zu schreiben versuchte. Dieser sei wenigstens „aus hartem Holz“ geschnitzt gewesen, im Unterschied zu der glibberigen Kanzlerin – die für Schirrmacher ein Land, das sich ein paar Wochen prinzlich fühlen durfte, mit ihrem grünen Köstum nun in ein Amphibiendasein zurückgezwungen hat. „Wir sind wieder Frosch.“
Nun ist es fast beruhigend, dass man den Texten an ihren sexuellen Untertönen so deutlich ihre Begehrensstruktur ablesen kann. Es ist also nicht nur die Medienerzählung von den Reformnotwendigkeiten und den ewiggestrigen Blockierern, die hier automatischen Text generiert. Da sprechen auch gekränkte Alphamännchen, die sich nicht mit dem Gedanken anfreunden können, eine Kanzlerin, die sie glauben ins Amt geschrieben zu haben, könnte eine andere Politik machen als von ihnen gewünscht. Was aber nichts daran ändert: Das Desiderat, endlich möge jemand mit den Blockierern aufräumen, ist wieder da. Die deutsche Reform-Nörgel-Maschine läuft wieder. Ändern wird sich nicht viel, wie immer. Man sollte sich an ihr Getucker gewöhnen. TOBIAS RAPP
