Durch die Heide wankt ein trunkener Rumspuker

GEBURTSTAG 1 Richtig oder Falsch? Wahr oder Unwahr? Die zehn beliebtesten Vorurteile über Arno Schmidt

„Wieso lesen Sie ‚Zettel’s Traum‘? Haben Sie denn nichts Besseres zu tun?“

Arno Schmidt? Das war doch der, der nie Bücher schrieb, sondern bloß Zettel … Selbstschussanlagen ums Siedlerhäuschen hinter Nato-Draht … ein atomsicherer Bunker unterm Keller für das Eingemachte … Unsere Autorin überprüft zum 100. Geburtstag die zehn wichtigsten Vorurteile über den Autor, die jeder gute Leser kennen und verbreiten sollte.

1. Arno Schmidt war sehr arm und ernährte sich ausschließlich von Wacholder und Heidekraut. Falsch. Er würzte mit Fleischextrakt nach: „Heil dem Erfinder des MAGGI. Wo er begrab’m liege: HEIL IHM!“ – Außerdem rettete er die knifflige theologische Frage „Ist Maggi am Freitag zulässig?“ für die moderne Literatur, in der sie noch heute herumspukt. Unbeantwortet, versteht sich.

2. Schmidt ließ sich sein Honorar grundsätzlich nur in bar über den Zaun reichen. Falsch. Er wäre ja dann auf sein eigenes Minenfeld getreten. Wahr ist allerdings, dass er, der wusste, „daß 1 Hundert = Markschein getrocknete & gepreßte Freiheit ist“, sehr lange kein Konto besaß, weil er Banken grundsätzlich misstraute. Kauzig, nicht wahr? Wir sind da natürlich viel weiter. Und seit 2008 viel ärmer.

3. Seit dem Umzug nach Bargfeld lebte Arno Schmidt in einem Zettelkasten. Wer ihn störte, bekam Schläge. Falsch. Er hätte gar nicht hineingepasst, und Gewalttätigkeiten hob er sich für später auf: „Wenn ich tot bin, mir soll mal Einer mit Auferstehung oder so kommen: ich hau ihm Eine rein!“

4. Arno Schmidt war äußerst unbeliebt bei anderen Schriftstellern, die er sowieso nicht leiden konnte. Falsch und richtig. Er war ein bisschen zu ehrlich, damit eitle Autoren ihn mögen konnten, und ein bisschen zu empfindlich, um kritische Kollegen zu schätzen. Eine Einladung zur Gruppe 47 lehnte er ab mit dem Hinweis, er eigne sich nicht zum literarischen Mannequin. An seinen Verleger stellte er die Frage: „Muß man bei der Gruppe 47 auch singen, oder braucht man nur nackt vorzulesen?“ Alfred Andersch und Hans Wollschläger hielten ihm dennoch jahrzehntelang die Treue. Uwe Johnson urteilte dagegen schon nach der ersten Begegnung: „Unfähig zu kollegialem Verhalten, unfähig zur Verständigung, wahrscheinlich krank.“

5. Der Schriftsteller soff wie ein Loch. Deswegen ist „Zettel’s Traum“ Quatsch, wenn auch Quatsch in drei Spalten. Falsch. Löcher saufen nicht. Von Arno Schmidt stammt allerdings die immer noch gültige Maxime: „Das Leben des Menschen ist kurz. Wer sich betrinken will, hat keine Zeit zu verlieren.“ Über sein dickstes Buch bemerkte er dagegen: „Wieso lesen Sie ‚Zettel’s Traum‘? Haben Sie denn nichts Besseres zu tun?“

6. Der Autor lebte mit einer Zentaurin zusammen. Falsch. Es waren tatsächlich mehrere, deswegen musste er sein Grundstück in Bargfeld auch so gut sichern. Durch Nachlässigkeit entkamen die scheuen Wesen nach Schmidts Tod trotzdem in den Naturpark Südheide, wo sie heute noch die kargen Gründe abweiden wie einst im Science-Fiction-Roman „Die Gelehrtenrepublik“: „Ich legte ihr einmal wie zufällig die Hand auf die Stelle, wo Mädchen und Gazelle sich trafen – man konnte die Finger prachtvoll tief in den etwas harten aufrechten Mähnenkamm einwühlen: !“

7. Arno Schmidt sah selbst ein, dass „Zettel’s Traum“ ein Irrweg war, wenn auch ein Irrweg in drei Spalten. Richtig. „Wir haben vor, es mit Trageriemen binden zu lassen, und den größten Teil der Auflage unserer Bundeswehr, für Gepäckmärsche, zu offerieren“, schrieb er an Hans Wollschläger.

8. Schmidts Prosa ist nur was für gelehrte Spinner. Falsch. Ungelehrte Spinner können sie auch lesen. Wer es verweigert, verpasst einen schönen Satz nach dem anderen. „Der Mensch ist innen hohl, und das Übel in der Welt wächst beständig.“

9. Die Erinnerung an den Autor verblasst allmählich; er ist inzwischen „mausetot“ (Der Spiegel). Falsch. Vielmehr erlebt Schmidt nach seinem Tod all die Dinge, die er zu Lebzeiten verpasste. So versichern immer mehr Menschen, sich mit ihm in Celler Kneipen betrunken zu haben. Der Kreis der Personen, der lange philosophische Gespräche mit dem Autor geführt hat und mit ihm spazieren gegangen ist, wächst täglich. Man fragt sich, wann Schmidt eigentlich gearbeitet hat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich herausstellen wird, dass sein Werk gar nicht von ihm stammt. „Ehrlich sein ist keine Tugend, aber s geht meistens schneller; zum Lügen braucht man viel zu viel Zeit und Aufwand.“

10. Arno Schmidt spukt heute als Wiedergänger in seiner berühmten grünen Lederjacke in Bargfeld herum. Richtig. So hat er es selbst einst in „Zettel‘s Traum“ prophezeit: „Immer noch durch Wälder & Heiden; immer noch Notizen machend.“ Bitte nicht ansprechen – „Gibt‘s wieder was zu sehen?“ –, wenn Sie nicht wie ein Idiot dastehen wollen: „Versteht sich; wo gäbe es wohl nichts zu sehen?“

SUSANNE FISCHER

■ Die Autorin ist Geschäftsführerin der Arno Schmidt Stiftung. Alle Zitate sind original von Schmidt.