Der integrierte Nutzungskonflikt

Auf dem ersten deutschen Forum zur neuen EU-Meerespolitik wurde deren Grundidee einhellig gelobt. Viele Probleme wurden benannt, auf Lösungen darf noch ein Jahr lang gehofft werden

Aus BremenSVEN-MICHAEL VEIT

Der Konsens ist in zwei Worte zu fassen: gute Idee. Ein integrierter politischer Ansatz für die künftige Meerespolitik der EU „ist notwendig“, sagt Helga Trüpel. Und alle Diskutanten auf dem Forum, zu dem die grüne Bremer Europa-Abgeordnete gestern geladen hatte, sehen das auch so. Das Grünbuch Meerespolitik der EU-Kommission (siehe Kasten) soll „untersucht, analysiert und kommentiert werden“, wünscht sich Trüpel. Die Gemeinsamkeiten jedoch enden zumeist bei der Beschreibung der Nutzungskonflikte.

„So, wie es jetzt ist“, sagt am deutlichsten Umweltschützerin Nadja Ziebarth von der Aktionskonferenz Nordsee über das Schriftstück, werde es „die bekannten Probleme eher nicht lösen helfen“. Denn der Gedanke des Meeresschutzes, der im Grünbuch offiziell gleichberechtigt neben Wachstum und Wohlstand gestellt wird, stehe nach ihrer Ansicht faktisch „hinter der Priorität für die Wirtschaft“ zurück. Geschützt werden solle das Meer „nur dort, wo es genutzt werden soll“, kritisiert sie, zum Beispiel Fische durch Fischer. „Als Eigenwert aber“, sagt Ziehbarth, „wird das Meer nicht begriffen.“

Jens Eckhoff hingegen vermisst die angemessene Würdigung der Windenergie im Grünbuch. Auch hier seien „Nutzungskonflikte“ auszuräumen, sowohl mit Naturschützern wie mit Tourismusämtern, befindet der frühere Bremer Bau- und Umweltsenator. Als Präsident der Deutschen Stiftung zur Förderung der Offshore-Windenergie ist der Christdemokrat geladen, und für die setzt er sich ein. Mehr Förderung, bessere Rahmenbedingungen und mehr Unterstützung fordert Eckhoff, „auch von der Handelskammer“.

Ein Stück weit kann er da auf deren Präses Patrick Wendisch zählen, der allerdings viel mehr auf „hochwertige Technologie“ gibt. Im Seeverkehr, in der Logistik, in der Hafenwirtschaft vor allem, die Garanten seien „für den umweltfreundlichsten aller Verkehre“, den zur See nämlich. Und deshalb müsse er an genau dieser Stelle „Wasser in den Wein kippen“, kündigt Wendisch die Beschreibung eines weiteren Nutzungskonflikts an.

Denn der Tourismus drohe von der EU-Kommission überbewertet zu werden, findet der Kammer-Präses. Zum einen komme man „mit sanftem Tourismus wirtschaftlich nicht aus dem Knick“, zum anderen seien neue Bettenburgen an den Küsten auch nicht wünschenswert. Vor allem aber setzte Tourismus „eben Touristen voraus, die die angebotenen Dienstleistungen bezahlen können und wollen“. Entscheidend sei deshalb, findet Wendisch, „wo die Wertschöpfungskette herkommt, an deren Ende Touristen Geld ausgeben“.

Und da setzt der Präses doch eher auf Handfestes: Schiffe, Werften, Handel, Industrietechnologie. Und wenn das schonend gestaltet würde, schade das Nord- und Ostsee und den Ozeanen auch nicht so. Von den Naturräumen der Erde, glaubt Wendisch, „sind die Meere noch am wenigsten gefährdet“.

Das sieht auch Paul Nemitz anders. Nemitz ist EU-Generaldirektor für Fischerei und Maritime Angelegenheiten und stellte auf dem ersten Forum in Deutschland über das Grünbuch dessen Grundzüge vor. Es gehe gerade um „die Dramatik der Wechselwirkungen“, sagt er, welche die vielen unterschiedlichen Einflüsse auf die Meere hervorriefen. Das vor allem durch den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt gestiegene „Wissen über Zusammenhänge“ sei unverzichtbar für „eine integrierte Politik der Nachhaltigkeit“.

Die müsse die drei Prinzipien Wachstum, Wohlstand und Umweltschutz gleichrangig behandeln, findet Nemitz. Allerdings seien für diesen „umfassenden Ansatz gute wirtschaftliche Argumente für die Bedeutung der Meeresumwelt“ vonnöten. Und einer der wichtigsten sei inzwischen eben der Tourismus. Der habe in seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung „in den Küstenregionen überall in der EU“ die alten Industrien Schiffbau, Schifffahrt und Fischerei inzwischen überholt. Ein Beispiel dafür, wie Nutzungskonflikte „nachhaltig“ zu entschärfen seien, findet Nemitz – ganz im Sinne der EU-Kommission.

Gastgeberin Helga Trüpel ist mit dem Debattenauftakt über das Grünbuch nicht unzufrieden. Es seien viele Probleme gut beschrieben worden“, findet sie. Nun müsse bis zum kommenden Jahr lediglich noch „die politische Herausforderung bestanden werden, dafür gute Lösungen zu finden“.

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