: Die Pyramide wächst
Freude unter der Zirkuskuppel: Geschickt und nett ist er, der Afrikaner. André Hellers Show „Afrika, Afrika“ huldigt der Artistik und sonst gar nichts, und wer das für Rassismus hält, ist selber schuld
VON ANDREAS BECKER
Er ist der Loser der Fußball-WM: André Heller. Sein Team aus Freiwilligen und Topstars der U-Branche durfte gar nicht erst auflaufen. Dabei hätte man zu gerne gesehen, wie er seine Idee, den armen Rasen unter all dem kommenden Getrampel präventiv aufschreien zu lassen, verwirklicht hätte. Tja, als kreativer Magier mit Ösiakzent und Ötzioutfit a la Rainer Langhans hat man’s nicht überall leicht …
Der 1947 geborene Impresario hat schon einige seiner Ideen aufs Publikum abgefeuert. Er steht dabei wie kaum ein anderer für die Roncallisierung der öffentlichen Aufführung. Möglichst poetisch soll alles daherkommen, auch gern mal zum Nachdenken anregen, „uns träumen lassen“ will er sowieso. Am besten so ganz a bisserl auch träumen, wie die Welt noch besser, sprich poetischer sein könnte. Was der Kerl schon alles in die Manege geworfen hat: 15 LPs als „Chansonier“ zwischen 1968 und 1983. 1985 „Misstraue der Idylle“, ein Blumenbild für die Internationale Gartenschau Berlin. Danach ging’s richtig los mit den Shows, die Artistik und Exotik zum Kulturevent hochpolierten: „Flying Sculptures“, „Begnadete Körper“, „Luna, Luna“. 1992 eröffnete er mit seinem Poesiealbumsfreund Bernhard Paul das „Wintergarten Varieté“ in Berlin – da wo früher das abgerockte, schöne Konzerthaus Quartier Latin war. Fehlt natürlich vieles, die „Wunderkammern der Swarowski Kristallwelten“ zum Beispiel.
Zum Glück für ihn hatte Heller nach der WM-Absage noch eine alte Idee im Zettelkasten. „Manche meiner Ideen bestehen darauf verwirklicht zu werden. Meine ersten Notizen zu einem afrikanischen Zirkus stammen aus dem Jahr 1973.“ Immer wieder reiste er durch Afrika und anscheinend geriet er nicht in Bürgerkriege, vögelte nicht mit Aidskranken, löschte keine Ölquellen von Shell in Nigeria mit Blumeninstallationen. Stattdessen traf er in der Sahara eine „höchst pittoreske Kamelreiterbrigade der königlichen Armee“, vor der sich „Menschen, die wie Fabelwesen daherkamen, versammelten“. Super, jetzt müssten die nur noch bei uns auftreten, und alle wären verzaubert.
Der Risiken eines in Nordeuropa tourenden afrikanischen Zirkus waren Heller natürlich bewusst. Die Kritiker würden schnell was von Rassismus und Schönfärberei schreien und alles kaputtmachen. Also überlegte sich die Heller-Event-Truppe eine Verteidigungs-Strategie: Die öffentliche Wahrnehmung von Afrika sei geprägt durch Katastrophen, Krieg, Hunger, Krankheit. Nur das zu sehen, sei aber tendenziell selbst rassistisch, denn dieser Kontinent habe sooo viel mehr zu bieten.
Unterstützt wird Heller von Doudou Diéne, Repräsentant der UNO aus dem Senegal, der die Fixierung des Westens auf die katastrophale Lage, als Folge der Legitimation von Sklaverei und kolonialer Ausbeutung, kritisiert: „Folgt man diesem Vorurteil, wäre der Zustand Afrikas die logische Konsequenz aus seiner kulturellen Minderwertigkeit.“
Also hat Heller sich nun in halb Afrika die besten Artisten zusammengesucht, holte die Unesco und das Goethe-Institut ins Boot. Jetzt endlich steht er mit seinen roten und gelben modernen Beduinenzelten in der Wüsten-Einöde am neuen Hauptbahnhof. Seine Zeltstadt ist natürlich klimatisiert, zentrales Objekt ist ein Vier-Mast-Zelt für rund 2.000 Leute. Auf dem Boden liegen schön bunte, dicke Teppiche „im Berberstil“ – man kann auf dem Boden rumhocken oder die Ausstellung mit Objekten afrikanischer Künstler anschauen. Gespendet hat man ja eh schon, von den Eintrittspreisen zwischen 25 und 69 Euro geht 1 Euro an Goethe und Unesco.
Können sie also einschweben, die begnadeten schwarzen Körper. Eine Geschichte wird in der Show nicht erzählt, es gibt keinen Clown, keine wilden Tiere (nur als niedliche Kostüme), keine Ironie oder Verweise auf Politik. Eine Nummernrevue zieht vorbei: Es geht darum, den bunten Tonkrug perfekt auf den Füßen zu balancieren, sich an Metallstangen emporzuarbeiten wie ein geschmeidiges Tier. Die Band spielt Pata Pata von Miriam Makeba, die Mädchen rennen in Baströcken durchs Zirkusrund. Die Jungs klettern aufeinander rum, dass es einem alle Gelenke auskugeln würde. Die Menschen-Pyramiden werden minütlich höher. Einer schwingt sich an zwei Gurten hängend bis unters Dach und dreht sich um alle Achsen. Ganz schön gefährlich. Da man ja beweisen will, dass es in Afrika nicht nur Katastrophen gibt, fällt den ganzen Abend nix runter, kein Ball wird beim Jonglieren verloren, kein Knochen gebrochen.
Weiße gibt’s natürlich nicht in der Arena. Nicht mal eine kleine Auflockerung durch Maschinengewehre (es hätten ja auch Love-Parade-Wasserpistolen gelangt), die von artistischen Kindersoldaten auf Kletternde abgefeuert werden. Kein Schlingensief, nirgends.
Stattdessen simple Reminiszenzen an die Moderne. Breakdancer besser als am Ku’damm. Eine durchgewürfelte Truppe, die wild auf Einrädern rumrasend Basketball spielt und sich manchmal grinsend veräppelt. Geschickt und nett ist er, der Afrikaner, das beweisen uns Heller und Goethe endlich antirassistisch. Bislang kannten wir ja nur den rhythmisch begabten Salsaschwarzen aus Südamerika. Nun werden also bald die ersten Artistenschulen aufmachen, in denen man von echten Afrikanern das Fassadenklettern lernt. Wenn’s denn dem Weltfrieden dient.
„Afrika, Afrika“ in Berlin bis zum 2. September, Quartier am neuen Hauptbahnhof, Infos unter www.afrikaafrika.de