ZWISCHEN DEN RILLEN
: Arrangement mit der Krise: Postdubstep von Mount Kimbie

■ Mount Kimbie: „Crooks And Lovers“ (Hotflush) ■ James Blake: „Cmyk“ (R&S) ■ Joy Orbison: „The Shrew would have cushioned the Blow“ (Aus Music)

Im Postdubstep tauchen Gesangsfetzen wieder auf, die Stimmen machen einen demolierten Eindruck

Das Debütalbum der beiden englischen Produzenten Dominic Maker und Kai Campos alias Mount Kimbie ist endlich da. Es heißt „Crooks and Lovers“, Gauner und Liebende, und steht für einen Paradigmenwechsel in der britischen Clubmusik.

Was vorher Dubstep hieß, wird seit Mount Kimbie Postdubstep genannt. Dubstep hat sein berühmtester Produzent Burial in einem Interview einmal so beschrieben, dass er eine Musik macht, die sich anhöre, als ob man vor der Stahltür des Clubs stehe und den Bass verschwommen durch die Tür höre. Das dräuende Element war – neben dem komplexen Beatdesign – das Markenzeichen des soliden Bass.

Dubstep war die Musik des Vorscheins der Dystopie, der Sound zur angekündigten Finanzkrise. Die Briten wussten, dass etwas auf sie zukommt, sie wussten nur nicht, in welchem Ausmaß. Inzwischen hat sich das Monströse der Finanzkrise in banale Realität verwandelt. Großbritannien lebt mittlerweile in der Rezession, die Einschnitte in den Sozialhaushalt sind gewaltig. Willkommen im Postdubstep. Diese Musik ist kein Engagement, sondern Arrangement. Mount Kimbie sind nicht die solitären Superstars, zu denen sie die deutsche Musikpresse gerade hochschreibt. Viel mehr sind sie Teil einer Gruppe junger Londoner Produzenten. Neben Mount Kimbie gehören James Blake und Joy Orbison dazu. Paul Rose alias Scuba hat als umtriebiger Partypromoter und Labelchef von Hotflush auch seinen Teil dazu beigetragen, Postdubstep zu lancieren. Schließlich sind es „seine“ Jungs, die schon pars pro toto für die gesamte Szene stehen.

Mount Kimbie, Joy Orbison, und James Blake kombinieren perkussive mit musikalischen Elementen. Heraus kommt ein Sound, der gleichzeitig organisch und unterbrochen wirkt. Nicht selten baut er auf Live-Sessions auf. Die Herkunft aus dem Dubstep ist unüberhörbar, allerdings transzendieren die jungen Briten den Basssound – nicht zuletzt indem sie ihn mit leichteren Grooves kombinieren. Während Joy Orbison dem groovigen UK-Garage zuneigt, zitieren Mount Kimbie Pop und Techno, und James Blake arbeitet mit R & B-Samples aus den 90ern und HipHop-Elementen. Es sind also weniger die Zutaten, sprich Samples, als viel mehr die Formensprachen, die es erlauben, die drei Produzenten unter dem Label Postdubstep zu subsumieren: Die physische Kraft des Basses hat einer subtilen Kombinatorik Platz gemacht, und live eingespielte Gitarren und Gesangsharmonien sind wieder en vogue. Jedoch kommt mit Postdubstep nicht das Humane zurück in den Club, sondern etwas Humanoides.

Die menschliche Stimme meldet sich zu Wort, allerdings macht sie einen demolierten Eindruck. Sie ist zerhackt, verzerrt und hört sich oft an, als ob man einen Track rückwärts spielen würde. In „Cmyk“ lässt James Blake die R & B-Sängerin Kelis erneut den roten Mantel finden, der ihr auf ihrem Track „Caught out there“ von 1999 als Zeichen dafür galt, dass der Geliebte sie betrügt. Bezeichnend für Postdubstep ist, dass James Blake nicht die offensichtlich Zeile „I hate you so much right now“ gesampelt hat, sondern die Zeile „I found her red coat“. Der Mantel verweist hier also auf den Betrug.

Mount Kimbies Feldaufnahmen von Kinderstimmen auf „Tunnelvision“ sind hingegen ein Verweis darauf, dass die Heuschrecken nicht gesiegt haben. Hört her, scheinen sie zu murmeln, uns gibt es noch, wir sind hier, wenn auch nur noch als Fährte. Auf „Crooks and Lovers“ existiert Stil nur noch als Hologramm. Was die Postdubstepper produzieren, ist eine Art Autoren-Postdubstep: sous rature. Der spezielle Signifikant ist noch da, um das Konzept dahinter erkennen zu lassen, er geht aber nicht ganz auf in dem Konzept „Subjekt“. Kai Campos und Dominic Maker signifizieren in dieser durchgestrichenen Manier ihre Autorenschaft. „Crooks and Lovers“ trägt nur noch die Konnotation seiner Autoren. Trotz ihrer Transparenz kann man in der konnotierten Autorenschaft deutlich die Motivation der Produzenten hören: Es geht darum, gleichzeitig an- und abwesend zu sein. Dubstep war die Musik des Vorscheins der Katastrophe. Postdubstep ist die Musik derjenigen, die sich mit ihr arrangieren müssen. NADJA GEER