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Archiv-Artikel

Schnippeln für die gemeinsame Sache

ESSEN I Um die Teilnehmer der „Wir haben es satt“-Demo verköstigen zu können, trafen sich am Freitag Hunderte Küchenhelfer in einem Zirkuszelt am Postbahnhof. Nicht ganz uneigennützig: Schließlich wurde auch gefeiert

Grüne Woche satt

■ Mit den geschätzt 30.000 Teilnehmern waren die Veranstalter der „Wir haben es satt“-Demonstration gegen die Agrarindustrie am Samstag sehr zufrieden (s. Bericht auf S. 8). Ebenso zufrieden gaben sich die Veranstalter der Grünen Woche auf dem Messegelände. Zum Abschluss des ersten Wochenendes erklärte Messe-Sprecher Wolfgang Rogall, es sei ein „Super-Aufakt“ gewesen. Bis zum Sonntagabend rechnete er mit insgesamt 120.000 Besuchern an den ersten drei Messetagen – das sind Zahlen wie im Vorjahr. Der Anteil der Fachbesucher darunter sei allerdings gewachsen, so Rogall. Bis zum Abschluss der Grünen Woche am 26. Januar erwarten die Ausrichter dann mehr als 400.000 Gäste in den Hallen unter dem Funkturm. Dort präsentieren in diesem Jahr 1.650 Aussteller aus 70 Ländern ihre Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Landwirtschaft, Ernährungsindustrie und Gartenbau. (dpa)

VON FUMIKO LIPP

Party am Freitagabend im Zelt am Postbahnhof. „Bring bitte dein eigenes Messer mit“, steht in der Einladung auf Facebook. Ungewöhnlicher Hinweis, aber es ist auch eine ungewöhnliche Party. Bei der „Schnippeldisko“ im Cabuwazi-Zirkus wird zwar auch getanzt, vor allem aber geschält, geschnitten und gekocht: 2.400 Liter vegane Protestsuppe. Sie soll am Samstag die Tausenden Teilnehmer der „Wir haben es satt“-Demo nach ihrem Marsch gegen Agrarindustrie und Massentierhaltung wärmen. 1,3 Tonnen Gemüse werden in nur einer Nacht verarbeitet.

Im Minutentakt stapfen Helfer mit Wannen voller klein gehacktem Gemüse durch die Manege und kippen sie in den gigantischen Suppentopf, der auf einem Podest aufgebaut ist. Pflatsch. Gerührt wird mit einem anderthalb Meter langen Metallpaddel vom altgedienten Demo-Koch Wam Kat. Knapp zweitausend Menschen bekommt er mit dem Inhalt eines solchen Topfes satt, sechs weitere Ladungen will er noch kochen.

Schaulustige versuchen auf Zehenspitzen einen Blick auf die Suppe zu erhaschen, Kameras blitzen. Es ist ja auch fotogen: Wie ein Gondoliere rührt der grau bezopfte Koch – Paddel links, Paddel rechts – Zwiebeln, Karotten, Kürbis, Kartoffeln und Ingwer durcheinander. Das alternative Publikum nippt zufrieden am ökologischen Biobier. Ein Rezept braucht Kat nicht, nach 35 Jahren als Suppenkasper habe er das im Gefühl, sagt er und wirft ein paar Karotten vom Boden zurück in die Brühe.

Im Zelt nebenan wird kistenweise Gemüse geschrubbt, in hüfthohen Eimern mit eiskaltem Wasser. Die große Menge tummelt sich im dritten Zelt – da geht die Party. Die DJane nickt im Takt, die Helfer hacken auf ihren Brettern. „Die Überlegung war: Wir brauchen eine Party, wir brauchen Musik, dann kommen die Leute“, sagt Organisatorin Nadja Flohr-Spence von Slow Food International. Ohne die über 400 freiwilligen Helfer wären die Organisatoren aufgeschmissen.

Wie ein Gondoliere rührt der grau bezopfte Koch im Topf – Paddel links, Paddel rechts

Das Faszinierende an der Schnippelparty: Hier ist alles gespendet. Sponsoren stellen den Veranstaltungsort, Helfer schenken ihre Zeit, Bauern das Gemüse. Es entspricht nicht der Norm und müsste sonst weggeworfen werden. In einen Laden würden es die Karotte mit Schönheitsfehler, die ziegelsteingroße Kartoffel oder der eingedellte Kürbis niemals schaffen. Genau dagegen wollen sich auch alle hier wehren: gegen die Agrarindustrie, die solche Normen einführt, gegen die Massentierhaltung und die Wegwerfgesellschaft. Dagegen wird ja demonstriert, aber eben erst am nächsten Tag.

Auf der Party wird das eigene Engagement gefeiert, getanzt und ein wenig mit dem brav mitgebrachten Messer gewerkelt. „Für mich ist das eine Inszenierung. Ein paar helfen, andere schauen nur zu. Das ist auch okay“, sagt Nadja Flohr-Spence. Wichtig sei, dass sich hier engagierte Menschen treffen, austauschen, vernetzen. Etwas für die Sache tun und sich dabei gut fühlen – das wollen wir doch alle.

Demobericht SEITE 8