: Im Rausch in die Tiefe
Nach der WM-Euphorie wartet auf das italienische Nationalteam heute ein Urteil des Sportgerichts: Müssen zwölf Spieler mit ihren Ligavereinen aufgrund von manipulierten Meisterschaften absteigen?
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Es war ein Monat wie im Rausch für die Azzurri. Und der WM-Rausch war wohl noch heftiger, weil Italiens Spieler wie Fans schon vorab eines ganz sicher wussten: Ab heute steht wieder Katerstimmung an. Ab heute nämlich ist in Rom mit dem Urteil des Sportgerichts im größten Skandal zu rechnen, den Italiens Fußball je erlebt hat.
Selten wurde in zeitlich so perfekter Synchronisation das Stück „Glanz und Elend des italienischen Fußballs“ aufgeführt wie jetzt zur WM. In Kaiserslautern oder Dortmund stürmte ein Team von Erfolg zu Erfolg, das nach jedem seiner Siege mit einer unschönen Tatsache konfrontiert wurde: Verhandlungstag um Verhandlungstag wurde in Rom deutlich, dass jene Siegermannschaft zum großen Teil aus Abstiegskandidaten besteht.
Ob Gigi Buffon oder Fabio Cannavaro, ob Gennaro Gattuso oder Alberto Gilardino, ob Luca Toni oder Alessandro Nesta: gleich 13 der 23 Spieler der italienischen Nationalmannschaft kicken nämlich bei den vier Vereinen Juventus Turin, AC Mailand, Lazio Rom und Florenz, die im Mittelpunkt des Megaskandals stehen.
Die Anklage im Sportgerichtsverfahren jedenfalls gab sich überzeugt: Rund um den Juve-Manager Luciano Moggi sei im italienischen Fußballverband ein Netzwerk entstanden, das durch die systematische Steuerung der Schiedsrichterauswahl den Ausgang der Meisterschaft manipulierte. Letzte Woche wurden die Strafanträge gestellt. Juventus soll in die Dritte, womöglich gar in die Vierte Liga; außerdem soll der Verein die Meistertitel von 2005 und 2006 einbüßen. Die drei anderen Vereine dagegen sollen in die Zweite Liga absteigen und zudem zum Saisonstart mit einem deftigen Punktabzug belastet werden, der einen sofortigen Wiederaufstieg praktisch ausschlösse. Außerdem sollen die führenden Manager der Vereine ebenso auf fünf Jahre gesperrt werden, etwa der frühere Fußballverbandspräsident Franco Carraro sowie der Liga-Chef (und Berlusconi-Intimus) Adriano Galliani.
Am Freitag zog sich das Sportgericht zur Urteilsberatung zurück; „mindestens drei, höchstens fünfzehn Tage“ hat der Vorsitzende Cesare Ruperto als Zeitfenster für die Urteilsverkündung festgelegt. Doch schon jetzt steht fest, dass alle Clubs in die Berufung gehen werden. Die Juve-Vertreter waren die einzigen im Verfahren, die ein faktisches Schuldeingeständnis geliefert hatten. Sie signalisierten, dass sie einen Zwangsabstieg in die Zweite Liga akzeptieren könnten – nicht aber in die Dritte Liga. Von Bestrafung wollen dagegen die drei anderen Clubs nichts wissen. Ihre Vertreter gaben sich entweder ahnungslos – bloß „Geschwätz und Angeberei“ will etwa der Lazio-Präsident in den abgehörten Gesprächen um die verschobene Meisterschaft erkennen – oder aber sie erklären sich zu Opfern des „Systems Moggi“, wie es Florenz tut.
Der AC Mailand ging seinerseits auf Distanz zum Clubfunktionär Leonardo Meani. Meani hatte sich um die Auswahl von Schieds- und Linienrichtern für die Milan-Partien gekümmert. Nun erklärte der Verein, Meani sei ja „bloß ein prekär Beschäftigter mit Teilzeitvertrag“ gewesen. Die Anklage im Sportgericht überzeugte das nicht. Also legte Clubeigner Silvio Berlusconi jetzt in der ihm lieb gewordenen Manier nach: „politische Motive“ stünden hinter dem Strafantrag für Mailand.
Bis Ende Juli wird auch die Berufungsinstanz entscheiden müssen: Am 28. Juli werden die Paarungen der Champions League ausgelost, und die vier angeklagten Clubs sind alle in der Tabellenspitze. Statt Juve und AC Mailand würden bei einem Schuldspruch Inter Mailand und AS Rom an der Champions League teilnehmen, und bei der CL-Qualifikation wären Chievo und Palermo dabei.
Die vier Skandalvereine dagegen müssten sich wohl einen neuen Spielerstamm suchen; alle WM-Spieler wollen bei einem Abstieg weg von ihren Vereinen. Die einzige Ausnahme: Alessandro Del Piero. Der Stürmer, der gegen Deutschland das 2:0 schoss, kündigte an, er werde auch dann bei Juve bleiben, wenn die „alte Dame“ des italienischen Fußballs – die in ihrer über 100- jährigen Vereinsgeschichte nie zweitklassig war – demnächst in der „Serie C“ spiele.