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Archiv-Artikel

Sturm und leise

Als wär‘s ein fremdes Meer: Der Fotograf Jochen Knobloch hat die Nordsee aus der Vogelperspektive aufgenommen und darüber ganz neue Bilder der Küste gefunden: Halligen, die in der dunklen Strömung wie Motorboote aussehen und blecherne Auto-Inseln, die auf dem Parkdeck warten

von Klaus Irler

Beruhigend ist, wenn nichts den Blick verstellt. Wenn man dasteht und sagen kann: Da ist ein Schiff. Und da ist noch eines. Oder ist‘s eine Boje? Jedenfalls gehört es zu diesem Bild dazu und es ist nicht so wichtig für uns, weil wir abdrehen zur nächste Seite, zum nächsten Bild. Nicht im Schiff und nicht im Auto, sondern im Flugzeug, das glücklicherweise auch nur eines ist, nämlich: still.

Hätte Jochen Knobloch einen Film gedreht, dann wären diese Bilder von der Weite und Schönheit der deutschen Nordseeküste laut, denn er hat sie allesamt vom Flugzeug aus aufgenommen. Aber es ist ein Fotoband geworden, und damit fallen Wind und Motor weg und auch sonst tut Knobloch alles, damit die Fotos in seinem Buch nicht nur stumm, sondern auch leise wirken: Den gebürtigen Dresdner mit Wohnsitz in Hamburg interessieren in seinem Band „Im Flug über die deutsche Nordseeküste“ vor allem die Strukturen der Küste, die Formen der Sandbänke in der Dämmerung und die Verästelungen des Watts.

Oder die vielen Menschen, wenn sie am Strand bei St. Peter-Ording zwischen ihren Windfang-Zelten wuseln. Oder die Autos im Hafen von Bremerhaven, die, während sie auf ihren Abtransport warten, auf dem riesigen Parkplatz ihrerseits zu rechteckigen Inseln aus Blech werden. Oder die Windräder auf den Feldern nördlich von Dagebüll, die entlang des Bewässerungsgrabens stehen, eins neben dem anderen, wie Statuen aus einer fremden Zivilisation.

All das sieht man aus der Vogelperspektive. Wobei nie das Gesicht der Landschaft allein bildbestimmend ist, es sind auch die Farben: Wie die Hallig Südfall in der dunkler werdenden Strömung schwimmt, als hätte sie Heckantrieb. Oder wie sich in den Wattstrukturen östlich der Insel Pellworm Grüntöne entwickeln, als wär‘s nicht nur die Nordsee.

Ergänzend zu den Bildern gibt es einen Text der Autorin Beate Schümann, der die Eigenheiten der Küste erklärt: Eine vor allem kulturgeschichtliche Einführung, die das Buch auch zu einer Art Fremdenführer macht – was die Erwartungen an die künstlerische Qualität der Bilder erst mal dämpft.

Knobloch aber schaut ohne Voreingenommenheit für touristische Höhepunkte auf die Küste und was bei ihm Natur, Technik und Mensch zusammenbringt, das ist sein Blick für Formen und Bildaufbau: Es geht mehr um das Abstrakte als um das Konkrete, und das ist gut so. Denn so eine Strandkorb-Ansammlung bei Büsum ist im Detail genommen öde, aus der Luft aber bekommt sie etwas Malerisches. Da hat jemand Körbe gewürfelt nach Zufallsprinzip. Die Ordnungsprinzipien der Kulturverwaltung ziehen nicht mehr, an Kurtaxe denkt hier niemand.

Langweiliger sind da die Luftfotos von Hamburg und Bremen, die sind gewöhnlich und man ist bestenfalls damit beschäftigt, dieses oder jenes bereits von unten bekannte Hochhaus zu identifizieren. Auch die Reiter im Watt sind weniger im Dienst des Bildaufbaus unterwegs, sie erzählen, und zwar vom tollen Urlaub. Aber das muss wohl auch sein bei einem Bildband über die deutsche Nordseeküste. Sonst hätte man sie ja nicht mehr wiedererkannt.

Jochen Knobloch / Beate Schümann: Im Flug über die deutsche Nordseeküste. Hinstorff-Verlag. 108 Seiten, 34,90 Euro