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Archiv-Artikel

Hinschauen hilft

Was tun mit der Nazi-Kunst: Soll man sie ausstellen oder in den Museumskeller verbannen? In Schwerin wird in Kürze eine Retrospektive zu dem Bildhauer Arno Breker eröffnet. Das ist keine Rehabilitation, sondern ein Schritt hin zur Entmystifizierung

VON JÖRG MAGENAU

Die Kontroverse ist unvermeidlich. Ohne den Streit, den sie schon vor ihrer Eröffnung am 22. Juli provoziert, wäre die Breker-Werkschau im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus nicht komplett. „Darf man das?“, wird nun wieder einmal gefragt, wie immer, wenn Nazi-Kunst öffentlich ausgestellt werden soll. Die Antwort kann nur lauten: Ja, man darf. Mehr noch: Man muss. Denn sie ist Teil der deutschen Geschichte und der Kunstgeschichte, die eben nicht nur das Schöne und das Gute und das Wahre enthält.

Schwerin wagt die erste Einzelausstellung nach 1945, die sich mit diesem Propagandisten des Nationalsozialismus auseinander setzt. Breker ist eine umstrittene Figur. Die einen sehen in ihm den Günstling Hitlers mit Werken ohne künstlerische Bedeutung. Für andere ist er einer der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung war ursprünglich schon für das vergangene Jahr geplant, wurde aber verschoben, um nicht in die Nähe des 60. Jahrestages des Kriegsendes zu geraten. Doch auch in diesem Jahr gibt sie Anlass zu Kritik. So sagte die Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin, sie halte es für „grob fahrlässig“, eine solche Präsentation vor den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zu zeigen, wo befürchtet wird, die NPD könne ins Parlament einziehen. Klaus Staeck hat gar eine für nächstes Jahr geplante Ausstellung in Schwerin aus Protest abgesagt.

Brekers Werke sollen in Schwerin behutsam und kritisch „zur Diskussion gestellt“ werden, verspricht der Titel der Ausstellung und des umfangreichen Begleitkatalogs, der Hitlers Lieblingsbildhauer in all seiner Widersprüchlichkeit zeigt. Zu fragen ist immer wieder – und eben auch am Beispiel Brekers – nach dem heiklen Verhältnis von Kunst und Macht, von Autonomie und Propaganda, nach der Vereinnahmung von Künstlern und danach, welche ästhetischen und moralischen Konsequenzen sich aus ihrer Kollaboration ergeben. Das sind Fragen, die keineswegs bloß die NS-Zeit betreffen, sondern auch die Gegenwart.

Brekers hochpolierte Idealgestalten arischen Herrenmenschentums wirken auf heutige Betrachter vor allem hohl und oft bloß komisch. Ihre Riesenhaftigkeit ist der sichtbar gewordene Größenwahn nationalsozialistischer Ideologie. Man möchte in sie hineinstechen wie in ein Soufflé. Lächerlich zu glauben, diese Kunst biete sich heute noch rechten Ideologen zum Missbrauch an. Worin sollte dieser Missbrauch bestehen? Wenn, wie von Kritikern befürchtet, Neonazis in die Ausstellung pilgern, dann hat Breker es nicht anders verdient, und Schwerin wird das aushalten müssen. Die Frage, ob denn die NPD im Herbst in den Schweriner Landtag einziehen wird, entscheidet sich aber sicher nicht an den 70 gezeigten Statuen. Ganz im Gegenteil: Sie tragen zur Entmystifizierung bei.

Die Rechten behaupten, Breker sei nach 1945 ins Abseits gedrängt worden, und versuchen ihn als eine Art Märtyrer aufzubauen. Die Ausstellung weist dagegen auf erstaunliche Kontinuitäten hin. Die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard fanden nichts dabei, sich von Breker abbilden zu lassen. Wenn nun in Schwerin auch die Adenauer-Büste zu sehen ist, erzählt das weniger über Brekers Kunst als über die politische Wirklichkeit der alten Bundesrepublik.

Dieser Zeit verhaftet ist auch Klaus Staeck mit seinem Protest gegen die Ausstellung. Für ihn besteht der Verdacht, dass in Schwerin „in Wahrheit an der Rehabilitation Brekers“ gearbeitet werde. Staeck ist Präsident der Berliner Akademie der Künste, zu deren Mitglied Breker 1944 berufen wurde. Nach dem Krieg wurde Breker mit vollem moralischem und politischem Recht wieder ausgeschlossen. Staeck bezeichnet ihn als „monumentalen Dekorateur der Barbarei“ und möchte ihn gewissermaßen auch aus der Kunst ausschließen. Heute noch. Doch das ist nicht möglich. Kunst ist viel mehr als nur das, was gefällt. Breker ist ein Teil der Geschichte, mit der wir leben müssen. Hinschauen kann da nur nützen.