: Topografisch ist Bremen gut
Der Beirat Mitte diskutiert das Thema Barrierefreiheit für Behinderte – betroffen sind zehn Prozent der Bevölkerung
taz: Vor der Beiratssitzung treffen Sie sich heute auf der Domsheide, um auf Behinderungen unter anderem für Rollstuhlfahrer aufmerksam zu machen. Was liegt dort im Argen?
Wilhelm Winkelmeier von „SelbstBestimmt Leben“: Es gibt dort eine ganze Reihe Barrieren, wovon die weitaus störendste das extrem breit und tief verfugte Kopfsteinpflaster im Gleisbereich ist.
Da kommt man auch als Fahrradfahrer schlecht rüber. Ist der Platz nicht erst vor zwei Jahren neu gestaltet worden?
Das ist ja das Ärgerliche: Hinterher war es schlimmer als zuvor! Wir waren bei dieser Baumaßnahme sogar einbezogen und konnten die Absenkung von zwei oder drei Bordsteinen erreichen. Aber von einer anderen Pflasterung war nie die Rede. Die jetzige ist für viele nahezu unüberwindbar.
Was schlagen Sie vor?
Das Mindeste ist: Es müssen gut sichtbare „Furten“ mit glatter Pflasterung angelegt werden, damit sowohl Rollstuhlfahrer als auch Blinde und Sehbehinderte den Platz und die Schienen gut überqueren können. Das Beispiel zeigt, wie dringend ein verbindliches Regelwerk bezogen auf Barrierefreiheit gebraucht wird – damit man sich teure Nachbesserungen sparen kann.
Ihre Organisation kämpft seit 20 Jahren für Enthinderungen in Bremen. Wie groß sind die Fortschritte?
Wir haben Erfolg, aber er ist kein Selbstläufer. Ich hatte mal gehofft, dass unsere Arbeit irgendwann überflüssig wird und wir sagen können: „Die werden schon an uns denken!“
Wie schätzen Sie die Zustände in Bremen im bundesweiten Vergleich ein?
Es steht gar nicht schlecht da. Topografisch hat die Stadt Vorteile, es gibt kaum schwierige Steigungen. Bremens Verzicht auf eine U-Bahn, die ja tendenziell immer für Barrieren sorgt, aber vor allem der politische Druck der Behindertenszene haben begünstigt, dass der Bremer ÖPNV in Sachen Barrierefreiheit bundesweit Vorreiter ist. Immerhin sind sämtliche Busse und zwei Drittel der Bahnen ohne Hilfe zugänglich. Aber man kann sich nicht auf das Erreichte verlassen: Gerade wurden neue Busse bestellt, in denen deutlich weniger Platz für Rollstuhlfahrer sein wird.
Bremen hat seit zwei Jahren ein Landesgleichstellungsgesetz für Behinderte und einen Behindertenbeauftragten – kam das nicht ziemlich spät?
Dafür, dass wir schon 1996 als bundesweit erste Initiative einen entsprechenden Entwurf vorgelegt haben, ist es in der Tat spät. Jetzt aber haben wir dadurch eine neue Dynamik, die Verwaltung muss unsere Anliegen ernster nehmen. Dass der neue Sitz der Kulturbehörde am Alten Wall doch noch behindertengerecht ausgestattet wird, wäre ohne das Gesetz sehr unwahrscheinlich gewesen.
In den diversen Freizeit- und Kultureinrichtungen sieht es mit der Behindertenfreundlichkeit vermutlich ziemlich unterschiedlich aus. Wo ist der Handlungsbedarf am größten?
Es wäre toll, wenn die „Schauburg“ endlich für Rollstuhlfahrer zugänglich wäre. Aber wir sind nicht so illusorisch zu glauben, dass alles von jetzt auf gleich klappen muss. Besonders ärgerlich ist aber, wenn bei Neu- und Umbauten die Chance verpasst wird, barrierefrei zu planen. Sogar beim Sozialzentrum Süd hatte man beim Umbau seines neuen Standortes vergessen, an einen ausreichend großen Fahrstuhl zu denken.
Fragen: Henning Bleyl
Die öffentliche Beiratssitzung findet um 19 Uhr im St. Jacobus-Packhaus im Schnoor statt