: Uneins über Kosovo-Gutachten
BOSNIEN UND HERZEGOWINA Bosnisch-serbische Nationalisten wollen ein Referendum über die Loslösung ihres Teilstaats organisieren. Gemäßigte Kräfte mahnen zu Zurückhaltung
REGIERUNGSCHEF MILORAD DODIK
AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER
Das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag über die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit Kosovos von Serbien hat in der serbischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina heftige Reaktionen ausgelöst. Die nationalistischen Parteien leiten daraus das Recht für die Republika Srpska ab, ein Referendum abzuhalten, um sich von Bosnien und Herzegowina abzuspalten. Demokraten, Liberale und Linke unterstützen diese Position nicht.
„Die Entscheidung hat sezessionistische Bestrebungen in der gesamten Welt gestärkt“, erklärte der Chef der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) Mladen Bosic, der erst kürzlich dem ehemaligen Vorsitzenden der Partei, Radovan Karadzic, einen Orden verliehen hatte.
„Wenn die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der UN Kosovo diplomatisch anerkennen sollte, werden wir die Resolution des Parlaments der Republika Srpska von 2008 aktivieren und die Prozedur einer Volksabstimmung über die Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina einleiten“, fügte Bosic hinzu.
„Hypothetisch kann die Serbenrepublik jetzt das machen, was auch die Albaner gemacht haben“, erklärte der Regierungschef der Republika Srpska, Milorad Dodik, der Zeitung Danas in Belgrad. Er kündigte an, die bosnischen Serben würden die Frage nach den Wahlen am 3. Oktober beraten. „Wir sind enttäuscht, was mit Serbien geschieht, und ich bin sicher, dass das nicht ohne Folgen für Bosnien und Herzegowina bleiben wird.“
Dagegen erklärte der Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei, Dragan Cavic nur, das Gutachten werde sezessionistische Bestrebungen in Bosnien und Herzegowina stärken. Er befürchtet, dass die Kampagne seiner politischen Gegner im rechtsnationalistischen Lager beflügelt werden könnte.
Der Vorsitzende der Neuen Sozialistischen Partei und Bürgermeister von Foca, Zdravko Krsmanovic, der ein oppositionelles Parteienbündnis anführt und Dodik stürzen will, hofft, dass die Wähler sich von der nationalistischen Rhetorik nicht beeinflussen lassen und der „korrupten“ Führung die rote Karte zeigen.
Bosnische Verfassungsrechtler sind der Meinung, dass die Teilstaaten in Bosnien und Herzegowina nicht das Recht hätten, derartige Referenden abzuhalten. „Kosovo hatte einen autonomen Status in Jugoslawien und war den Republiken gleichgestellt. Zudem wurden die Albaner des Kosovos seit 100 Jahren von Serben unterdrückt“, erklärte der Menschenrechtler Zvonimir Cicak in der Zeitung Oslobodjenje. Die Republika Srpska sei durch Mord, Genozid und die Vertreibung von Millionen Menschen geschaffen worden und nicht vergleichbar mit Kosovo, lautet der Tenor der bosniakischen und kroatischen Presse.
Viele Analytiker befürchten, dass Dodik und die Nationalisten nun von ihrer Korruption ablenken können. Andere Experten sehen in der Diskussion auch eine Chance. Sie biete den gemäßigten Parteien die Möglichkeit, auf die Gefahren nationalistischer Politik hinzuweisen. Eine Volksabstimmung könnte zu neuen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen in Bosnien führen und sei daher ein Spiel mit dem Feuer.