Grünzeug bis in die Puppen

Vom Chlorophyllmangel im Lustgarten zur Arbeiterbelehrung im Humboldthain und der „Perle von Zehlendorf“: Kaija Voss hat einen historischen Führer durch „Die Parks der Berliner“ geschrieben

VON BRIGITTE PREISSLER

Auf den ultimativen Chlorophyll-Flash konnte man um 1827 auf der Steinfläche vor dem Stadtschloss lange warten. Wo hier eigentlich der Garten sei, fragte sich damals Heinrich Heine, als er im Lustgarten lustwandelte. Mit ihrem spärlichen Pappel-Dekor war die Anlage noch längst nicht das heutige „grüne Foyer“ des Alten Museums. Dies erfahren wir von der Bauhistorikerin Kaija Voss, die einen kleinen Führer durch „Die Parks der Berliner“ geschrieben hat.

Kundig breitet sie darin die Geschichte ausgewählter Anlagen vor uns aus. Heine zum Beispiel brauchte, wenn er im Lustgarten Grünzeug vermisste, schon damals bloß in den „Stadt- und Thiergarten“ zu promenieren und konnte sich dort zwischen geometrisch beschnittenen Hecken und vogelbezwitscherten Wasserbassins vergnügen. Mit etwas Kondition schaffte er es „bis in die Puppen“: Der Große Stern wurde damals von einer Allee aus 16 Statuen gesäumt.

Die Autorin hat eine Menge weitere Details aus der lokalen Grünanlagen-Historie zu bieten. So berichtet sie etwa, dass der Monbijoupark zwischen Oranienburger Straße und Spree so heißt, weil dort im 18. Jahrhundert ein Schlösschen stand, das Kronprinzessin Sophie Dorothea, die Gattin des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., Monbijou, „mein Schmuckstück“, nannte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das zerstörte Gebäude abgetragen – vielleicht eine heiße Information für all jene, die mal wieder eine Schloss-Wiederaufbau-Diskussionen aufnehmen wollen.

Interessant ist natürlich auch, dass die Pfaueninsel früher Kaninchenwerder hieß. Oder dass man im Britzer Garten alles über die Alpenveilchen-Art „Perle von Zehlendorf“ erfahren kann. Allzu bildungsbetulich geht Voss einem aber nicht mit solchem nutzlosen Spezialwissen auf die Nerven – auch wenn manche Bemerkungen über das soziale Profil der Parkbesucher nur Klischee-Unkundige interessieren dürfte: Wir erfahren zum Beispiel, dass man sich auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße, auf dem Weg zum Körnerpark, wegen der vielen Wasserpfeifen-Läden, Call-Shops und Blätterteigröllchen-Bäcker „fast wie im Türkei-Urlaub fühlen“ kann.

Wirklich aufschlussreich in puncto Park-Soziologie ist die Geschichte des Friedrichshains: Der nämlich war mit seinen Besuchern aus dem dicht besiedelten Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg seit seiner Entstehung in den 1840er Jahren das volksnahe Pendant zum Tiergarten mit seinen adeligen und großbürgerlichen Flaneuren – da scheint sich mittlerweile einiges umgedreht zu haben. Der Schriftsteller Julius Rodenberg schrieb 1880: „Der Hain wimmelt von Kindern, die sich beim Spiele vergnügen: Kinder aus dem Volk, Mädchen im Kattunkleidchen, Knaben in linnenen Jacken. Die Mütter haben meist ernste, schmächtige Gesichter, auf denen die Spuren der Arbeit und des Nachtwachens zu sehen sind. (…) Das sind Erscheinungen, die man nicht im Tiergarten sieht.“

So feudal wie im einstigen kurfürstlichen Jagdrevier westlich des Brandenburger Tors ging es auch im Humboldthain nie zu. Dieser zweite Volksgarten Berlins wurde zwischen 1869 und 1876 angelegt, um, so Oberbürgermeister Karl Theodor Seydel, „der dichtgedrängten armen Bevölkerung dieses Stadtteils“ Gelegenheit zur Erholung zu bieten – so konnte man sie hinterher umso hemmungsloser schuften lassen. Einfach abhängen ließ man die gestressten Arbeiter im Humboldthain allerdings nicht: Im Geiste Alexander von Humboldts sollten sie sich bilden – man errichtete zu seinen Ehren ein kleines didaktisches Paralleluniversum: Dazu gehörte ein heute nicht mehr existierendes Denkmal des Forschungsreisenden, vor allem aber eine Geologische Wand mit Gesteinsproben wie Basaltsäulen oder Kalksteinplatten, von der bis heute Fragmente erhalten sind. Auch ein Terrarium wurde eingerichtet und allerlei ausländisches Gehölz angepflanzt, hübsch nach ihrer Herkunft auf dem Gelände geordnet.

Dergleichen Weiterbildungsmaßnahmen sind in den heutigen Parks ein wenig aus der Mode gekommen. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn sich mal wieder eine schwere Wolke aus Grillwürstchen-, Kühltaschen-Bier- und angekokelten Folienkartoffeln-Duft über die Stadt legt. Doch wer sich neben dem Chlorophyll- und Brutzelflash in dieser Saison auch noch die Parkhistorien-Kante geben will, der weiß ja jetzt, was er zu tun hat.

Kaija Voss: „Die Parks der Berliner“. be.bra Verlag, Berlin Edition, Berlin 2006. 144 Seiten, 9,90 €