JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE
: Das Fehlen jeglicher Putzstruktur

Jemand föhnt sich drei Wochen lang die Haare in meinem Wohnzimmer: Unbeschreiblich, was hier los ist!

Es ist Wahnsinn, was hier los ist; man kann das gar nicht beschreiben. Was hier los ist … Sie machen sich ja keine Vorstellung davon. Die Stimmung ist unbeschreiblich. Wahnsinn. Es fällt echt schwer, das zu vermitteln, was hier los ist! Es ist aber auch – das darf man nicht vergessen, das muss man honorieren – das Ergebnis einer konzentrierten, kontinuierlichen Vorarbeit; unbeirrtes Dranbleiben, Ausdauer. Nicht aufstecken.

Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man. Und Wasser, sagt die Frau Singerl, die Concierge, die ja schon ganz andere Debakel gesehen hat, Wasser hat einen kleinen Kopf. Mit dem Kopf voran ist das Wasser durch das undichte Gewinde eines kleinen Messinghähnchens hinter der Deckenabsenkung in der linken oberen Ecke in meinem Badezimmer raus und rein hinter die Fliesen in die Wand zwischen Bad und Wohnzimmer. Monate-, ja: jahrelang muss das so gegangen sein, sagt der Installateur, direkt über unseren nichts ahnenden kleinen Köpfen. Das heißt: die A. hat schon was geahnt. Vor Zeiten zeigten sich an der Badezimmerdecke gräuliche Flecken. A. war‘’s alarmiert; ich riet zu Besonnenheit, Kontinuität und Schimmelspray.

Der Installateur hat das Loch, das vorher schon die Leckortungsexperten in die Badezimmerdeckenabsenkungsplatte gesägt haben, größer gemacht, damit er was sieht. Und dann noch ein Stück größer, damit er an das Hähnchen rankommt. Er hoffe, sagt der Installateur, dass das jetzt so klappe und das Hähnchen nicht beim Abschrauben breche. Er wolle hier schließlich „nicht alles kaputtmachen“. Ich sage ihm, wie gut ich das in der Tat fände, wenn nicht alles kaputtgemacht würde. Der Installateur hat eine fatalistische Ader. Was ja verständlich ist. Aber wenn man so eine selber schon hat, dann hätte man lieber jemanden in seiner Badezimmerdecke stecken, wenn da schon jemand stecken muss, der einen positiv motivieren kann. Der „Das haben wir gleich!“ sagt und nicht „zefix zefix“ und „auweh“.

Auf der anderen Seite der Wand steht ein riesiger, wandfüllender Einbauschrank. Das heißt: stand. Gestern habe ich ihn abgebaut und was dahinter, in der versiegelten Weltabgeschiedenheit zwischen Schrankrückwand und Beton, zum Vorschein kam – ich sagte es bereits: Wahnsinn. Unfassbar, was das Hähnchen da in den letzten Jahren geleistet hat. Das ist unbeschreiblich, was hier los ist! Hätten Sie es nicht auch interessant gefunden, wenn einer der Klinsmänner oder einer der Fanmeilen-Reporter zur Abwechslung mal den Versuch gewagt hätte, das zu beschreiben, was bei denen immer „los“ war?

Ich würde in meinem Fall jetzt mal so sagen: Die ganze Wand hat eine Oberflächenbeschaffenheit wie die Haut eines Elefanten mit nässender Neurodermitis, den jemand ein paar Wochen zum Verwesen in einen feuchten Keller gelegt hat. Der Mann von der Wasserschadensanierungsfirma ist ganz beeindruckt. „Da fehlt bereits jegliche Putzstruktur“, sagt er anerkennend und schabt fingerdick Feuchtes von der Wand. So was habe er selten gesehen, sagt er, aber vielleicht nur, damit ich mich etwas speziell fühlen kann. Dann baut der Mann seinen Trockner auf. Der ist ungefähr so laut wie zwei Haarföhns, aber das ist okay: Zum Schlafengehen dürfen wir ihn ausschalten; aber bitte erst kurz davor, wenn’s denn unbedingt sein muss. Das Ganze dauert ja auch nur zwei, vielleicht drei, höchstens aber – bei einer gar so speziellen Wand – vier Wochen. Wichtig wäre nur, dass die Balkontür und die Fenster in dieser Zeit geschlossen bleiben. Stoßlüften ist erlaubt, was praktisch ist, von wegen des säuerlichen Schimmelgeruchs. Aber ansonsten muss „der Raum runtergetrocknet“ werden. Na gut, äh, draußen ist Hochsommer, aber davon darf man sich jetzt in dieser Phase nicht verrückt machen lassen. Ich freu mich schon, wenn diese Kolumne fertig ist und ich endlich rüberradeln darf ins Büro. Was ich jetzt brauchen könnte, wäre noch eine kleine WM inklusive Public Viewing und Living. Zu Hause halt ich’s jedenfalls nicht aus; das ist nämlich der Wahnsinn, was hier los ist.

Fotohinweis: JOSEF WINKLER ZEITSCHLEIFE Fragen zur Feuchtigkeit? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT