: Existenzrecht für sprachliche Minderheiten
ZENTRALISMUS Neuer Anlauf in Frankreich zur Ratifizierung der europäischen Charta für Regional- und Minderheitensprachen
Die Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung haben mit einer erstaunlich deutlichen Mehrheit (361 zu 149 Stimmen) einem Antrag zur Ratifizierung der Charta der Regional- und Minderheitensprachen zugestimmt.
Noch müssen auch die Senatoren den Text im selben Wortlaut verabschieden, und danach muss die entsprechende Regierungsvorlage von den beiden zum Kongress vereinten Parlamentskammern mit drei Fünfteln der Stimmen definitiv beschlossen werden. Der Ausgang der sehr hitzig geführten Debatte in der Nationalversammlung ist jedoch ein wichtiger Etappensieg für die Anhänger der Regionalsprachen.
Frankreich hatte die Charta des Europarats zwar schon 1999 unterschrieben, seither aber nie ernsthaft an eine Ratifizierung und eine Umsetzungen der darin enthaltenen Empfehlungen gedacht. Dabei hat Frankreich einen besonders großen Reichtum an historischen Regionalsprachen und ist doch sonst sehr um die Pflege des Kulturerbes bemüht. Unter der sprachlichen Vielfalt wären vor allem Korsisch, Bretonisch, Baskisch, Elsässerdeutsch, Flämisch, Okzitanisch und Provenzalisch sowie Katalanisch zu erwähnen.
Die meisten dieser Sprachen drohen auszusterben, weil sie nur noch von den Älteren verstanden und gesprochen werden. Wo aber, wie in der Bretagne (mit den „Diwan“-Schulen) oder auf Korsika, die einheimische Muttersprache selbstbewusst gefördert wird, kommen oft auch andere Autonomieforderungen auf, die Paris irritieren. Was die einen als kulturellen Reichtum betrachten, haben andere lange Zeit im Namen der Einheit der Republik verheimlicht oder gar zu unterdrücken versucht.
Anthropologische Vielfalt
Die Verfechter des sprachlichen und politischen Zentralismus haben auch jetzt nicht aufgegeben. Sie berufen sich auf die Verfassung, deren Artikel 2 die „Marseillaise“ zur Nationalhymne und Französisch zur einzigen Sprache der Republik erklärt. Für den Fall einer Förderung anderer Sprachen, die zum Teil viel älter sind als das offizielle Französisch, fürchten manche sogar gleich um den Zusammenhalt und die Fundamente der Nation. Der Gaullist Henri Guaino etwa warnte seine Ratskollegen, dass ein „Rückkehr ins Mittelalter“ drohe, wenn die Charta ratifiziert werde. Denn seiner Ansicht nach habe Frankreich seine „anthropologische Vielfalt“ nur mit dem vereinenden staatlichen Zentralismus überwunden.
Die Ratifizierung der Charta wäre ein wichtiges Signal für Randregionen wie die Bretagne, Korsika, das Elsass oder auch die Überseegebiete in den Antillen und im Indischen Ozean, die sich wegen ihrer Eigenart schon immer von der Pariser Zentralmacht verächtlich von oben herab behandelt und auch politisch an den Rand gedrängt gefühlt haben. Die Anerkennung ihrer Sprachen würde für sie weit mehr bedeuten als nur eine symbolische Geste.
RUDOLF BALMER
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