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Archiv-Artikel

Motiv: Rente 67

Weil von 2012 an das Renteneinstiegsalter steigt, sollen auch mehr Alte einen Job bekommen

VON ULRIKE WINKELMANN

Zehntausende Bewerbungen gingen beim Autobauer BMW ein, als 2002 in Leipzig der erste Spatenstich für das neue Werk gesetzt wurde. Bis 2004 stellte BMW 2.300 Leute ein. Von denen waren 27 Prozent über 40 und 5 Prozent über 50 Jahre alt. „Aus rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen“, erklärt der Werkssprecher Michael Janßen, „haben wir von Anfang an auf eine gemischte Altersstruktur geachtet.“

Hätte man nur Junge eingestellt, wäre die gesamte Belegschaft gleichmäßig gealtert. Es hätte über Jahrzehnte keine Fluktuation, also keine Neueinstellungen gegeben – dafür aber mächtig Aufstiegsgerangel im Betrieb. Außerdem, schiebt Janßen nach, „funktioniert Teamarbeit besser mit Älteren und Jüngeren – die ergänzen sich gut.“

„Es gibt einen Gesinnungswandel in den Unternehmen – aber noch keinen Wandel in der Praxis“, sagt Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik in Gelsenkirchen und Soziologe an der Universität Duisburg-Essen. BMW Leipzig sei da ein Vorreiter. Allerdings wird auch nicht jeden Tag in Deutschland ein neues Autowerk gebaut.

Grundsätzlich, erklärt Bosch, leiden die Unternehmen in Deutschland „nach wie vor unter Jugendwahn“. Ältere werden insbesondere bei Großunternehmen nicht eingestellt. Zwar begreifen die Arbeitgeber, dass sie sich auf die Verschiebung der Altersstruktur in der Arbeitnehmerschaft einstellen müssen – doch solange junge Menschen im Angebot sind, werden sie diese einstellen. Und so tun jedenfalls die Betriebe noch wenig bis nichts dafür, dass ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt eine Chance bekommen.

Insgesamt waren 2004 nur 41,4 Prozent der Über-55-Jährigen noch erwerbstätig. Damit lag Deutschland leicht unter dem EU-Schnitt von 42,5 Prozent. Der Europäische Rat hat 2001 in Stockholm beschlossen, dass bis 2010 mindestens 50 Prozent der 55- bis 64-jährigen Lohnarbeiten gehen sollen. Diese Quote erreichen in Deutschland gegenwärtig nur die Hochqualifizierten. Denn je schlechter der Bildungsgrad, desto früher wechseln die Menschen in Arbeitslosigkeit und Frühverrentung. Dies gilt insbesondere für Frauen. Nur 23,7 Prozent der niedrig qualifizierten Frauen über 55 sind noch in Arbeit. In der ganzen EU ist zurzeit Schweden das einzige Land, das für Frauen wie Männer, für Hoch- wie Niedrigqualifizierte die 50-Prozent-Marke erreicht.

Doch ist es nicht der Stockholmer Beschluss, der den Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) antreibt, Ältere in Beschäftigung zu bringen. Es ist die Rente mit 67. Die große Koalition will, dass ab 2012 das Einstiegsalter in die Rente ansteigt, um die Rentenausgaben zu begrenzen. Müntefering hat versprochen, dass zuvor die Jobchancen für Ältere verbessert würden. Für diese bedeutet sonst die spätere Rente bloß längere Arbeitslosigkeit und höhere Rentenabschläge.

Deshalb legt Müntefering heute dem Kabinett seine „Initiative 50 plus“ zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer vor. Er will über 50-jährige Bezieher von Arbeitslosengeld I ermuntern, sich einen neuen Job zu suchen, indem er ihnen einen Teil der Differenz zum letzten Gehalt erstattet. Er will den Unternehmen mehr Eingliederungszuschüsse zahlen, wenn sie Ältere einstellen. Und er will die Weiterbildung in Betrieben stärker – auch schon für 45-Jährige – bezuschussen. Müntefering veranschlagt 500 Millionen Euro pro Jahr an zusätzlichen Kosten und rechnet mit 100.000 neu Beschäftigten.

Arbeitsmarktforscher Bosch ist allerdings skeptisch gegenüber einer solchen „reinen Instrumenten-Debatte“. Er vermisst den „breiteren Ansatz“. Immerhin habe Müntefering das Thema Weiterbildung im Kopf, doch „müssen wir viel früher und in regionalen Verbünden ansetzen“, sagt Bosch. Es seien die niedrigqualifizierten 30-Jährigen, die im Betrieb den technischen Wandel verarbeiten müssten. In Schweden seien es 40 Jahre Gleichberechtigung, die dort den Frauen den Verbleib im Beruf ermöglichten. Auch auf Arbeitnehmerseite gebe es eine „Vorruhestandsmentalität“: Schon Ende-40-Jährige klagten stark über Stress und verabschiedeten sich innerlich aus dem Job.

Nicht nur deshalb müsse eine „echte Altersteilzeit“ her, wonach die Arbeitnehmer die geltende Regelung nicht en bloc nutzen, sondern tatsächlich weniger pro Woche arbeiten. Bei nur schwach wachsender Wirtschaft gelte, „dass Arbeit klüger umverteilt werden muss“, sagt Bosch.