: „Die donnern sich das rein“
Dopingtester Helmut Pabst über den unausrottbaren Wunsch der Leistungssportler, durch einen Wunderpunsch so stark wie Obelix zu sein, und die Dringlichkeit eines Anti-Doping-Gesetzes
INTERVIEW JUTTA HEESS
taz: Herr Pabst, sind Sie entsetzt über den aktuellen Dopingskandal?
Helmut Pabst: Ich bin nicht so entsetzt, aber sehr enttäuscht, muss ich ehrlich gestehen. Ich hatte eigentlich immer gehofft, dass wenigstens ein paar Radsportler ganz oben sauber mitfahren. Aber dass ausgerechnet diejenigen, die sich immer als Saubermänner hingestellt haben, von ihren Rennställen suspendiert worden sind, spricht Bände. Ich habe große Zweifel, ob sich die Fahrer, die jetzt betroffen sind, in irgendeiner Form wieder reinwaschen können.
Die Fahrer, die jetzt bei der Tour mitfahren, sind doch auch nicht alle clean?
Ich habe immer die Meinung vertreten, dass man auch ohne Doping solche Strapazen auf sich nehmen kann. Ich hoffe, dass die sauberen Fahrer immer noch dabei sind. Man könnte natürlich meinen, es müssen alle dopen. Aber es gibt sicher einige, bei denen die Vernunft ganz klar sagt: Hoppla, Finger weg, einen frühzeitigen Tod muss ich nicht unbedingt riskieren.
Selbst das Eigenblut-Doping, das Jan Ullrich jetzt vorgeworfen wird, ist ja nicht ungefährlich.
Es ist nichts ungefährlich, was man sich in die Vene schieben lässt. Der Vorteil von Eigenblut für den dopenden Sportler liegt darin, dass man Fremdblut-Transfusionen sehr gut nachweisen kann und dass sie noch mehr Nebenwirkungen haben als Eigenblut-Transfusionen. Vor einigen Jahren, als die Labors angefangen haben, Fremdblut über Antikörper im Blut nachzuweisen, ist man wieder auf die Eigenblutbehandlung umgestiegen, die bereits Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre praktiziert wurde.
Wissen viele Sportler nicht, wie gefährlich Doping ist?
Viele Sportler machen sich keine Gedanken darüber, dass Doping tödlich sein kann. Und diejenigen, die es wissen, ignorieren die Gefahr. Ich habe einen Sportler gehabt, der sagte: Es ist mir völlig wurscht, ob ich morgen tot umfalle, Hauptsache, ich bin Olympiasieger.
Erfolg um jeden Preis.
Solche Einstellungen erwirbt man früh. Es gibt Studien, die besagen: Je höher der Bildungsgrad, umso seltener greifen die Sportler zu gefährlichen Sachen. Gucken Sie doch nur mal in die Fitnessstudios!
Da wird ja offenbar in rauen Mengen geschluckt.
Die Mastviehzucht in Europa verbietet diese Substanzen, und jene Sportler donnern sich das in Mengen hinein, die jedes Rindvieh umbringen würde. Aber ein Athlet wird ja nicht geschlachtet und nicht gegessen.
Wie schätzen Sie die Suspendierung Ullrichs ein? Positiv getestet wurde er nicht.
Um heute jemanden des Dopings zu überführen, ist der Nachweis der Substanz im Körper nicht mehr notwendig. Der Wada-Code, den es seit 2003 gibt, listet auch ganz andere Sachen auf. Da wird auch Manipulation erwähnt, ebenso der Besitz und Verkauf von Substanzen. Das gilt alles als Doping. Es gibt also auch den indirekten Nachweis, wie damals bei der Balco-Affäre in den USA: Aufgrund von Mails und anderen Schriftstücken wurde nachgewiesen, dass bekannte Leichtathleten in den Skandal verwickelt waren; diese sind ja auch gesperrt worden. Das ist ähnlich wie jetzt in Spanien. Ich nehme nicht an, dass der Radprofi Oscar Sevilla ungeschoren davonkommt, wenn die Ermittler seine Stimme am Telefon identifizieren konnten.
Und Ullrich schweigt weiter.
Ich verstehe Jan Ullrich nicht. Wenn er weiß, dass es nicht sein Blut ist, das entdeckt wurde, dann könnte er den DNA-Test machen lassen. Er könnte relativ einfach seine Unschuld beweisen.
Eigenblut-Doping ist sehr schwer nachzuweisen, ohne die Ermittlungen der spanischen Polizei wäre man den Dopern nie auf die Spur gekommen. Dopingkontrolle und Dopinganalyse stoßen hier an ihre Grenzen.
Wir dürfen weder Gespräche überwachen, noch dürfen wir in Taschen oder Schränke der Athleten hineinschauen, weil wir keine polizeiliche Gewalt haben. Deswegen bräuchte man meiner Meinung nach ein Anti-Doping-Gesetz, das in erster Linie die Hintermänner schmerzhaft bestraft. Es hat wenig Sinn, einen Sportler zwei Jahre zu sperren, und seinen Trainer oder Arzt für ein paar Jahre aus dem Sport zu verbannen. Genau das ist eine Einstellung, die ich überhaupt nicht schätze, gerade bei Politikern, Sportfunktionären und auch bei den Sportlern selbst, die das Thema dadurch verharmlosen.
Warum ziert man sich in Deutschland, ein Anti-Doping-Gesetz einzuführen?
Weil es in den Selbstbestimmungscharakter des Sports eingreift. Der Sport will sich selbst bestimmen und seinen eigenen Standpunkt beziehen. Das soll er ja auch tun, und er soll auch seine Anti-Doping-Regeln und seine Bemühungen, den Sport sauber zu halten, fortführen. Aber man müsste zum Beispiel das Arzneimittelgesetz so verschärfen, dass ein Arzt, der Sportler dopt, seine Approbation verliert. Warum kann man da nicht ein Berufsverbot aussprechen? Er handelt absolut unethisch, außerhalb der Berufsehre. Aber da haben zu viele Personen Angst, dass diese Strafe zu hart sei. Wenn ein Gesetz da wäre, hätte man eine Handhabe und könnte diese Hintermänner ausschalten.
Viele finden Doping vielleicht einfach nicht schlimm genug?
Es muss der breiten Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass Doping kein Kavaliersdelikt ist. Es muss ein Umdenken stattfinden – von der Politik bis in den Sport hinein. Außerdem muss man auch sehen: Der Sport hat nicht nur ein Dopingproblem – er hat auch ein Drogenproblem. Nicht nur Ullrich schluckte eine Ecstasy-Pille, inzwischen gibt es Hinweise, dass viele Fahrer Amphetamine außerhalb des Rennens schlucken. Und böse Zungen behaupten, dass die US-Profiliga NBA voll auf Koks ist.
Was halten Sie von Jens Voigts Vorschlag, ein Gen-Profil von allen Radprofis anzulegen?
Das ist im Grunde genommen kein Problem, den genetischen Fingerabdruck eines jeden Sportlers zu erstellen. Es ist vielleicht ein Eingriff in die Intimsphäre, aber das ist im Sport auch jede Doping-Kontrolle. Einige werden sich dagegen wehren, aber wir verlangen in Sachen Doping sowieso den gläsernen Athleten. Wir wollen wissen, wo er ist, wann er trainiert. Und solch ein Profil wäre eine Möglichkeit, Dopingkontrollen effektiver durchzuführen.
Wäre nicht alles viel schöner, wenn es die Sportler von sich aus kapieren würden?
Der frühere Präsident des Gewichtheberweltverbandes Schedl hat vor Jahren gesagt: Und wenn sie die Todesstrafe aussprechen, es gibt immer wieder welche, die es nicht kapieren. Der Wunsch, ein Obelix zu sein, ist unbesiegbar.