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Archiv-Artikel

Vergesst die Schwimmer nicht!

In öffentlichen Bädern brauchen Schwimmer starke Nerven: Killergrätschen und Arschbomben stören ihre Bahn

Angela Delissen

■ 47, ist Pressereferentin und Veranstaltungsmanagerin beim Hamburger Schwimmverband e.V.

■ Sie studierte Literaturwissenschaft und Philosophie, arbeitete als Theaterautorin und Literaturkritikerin.

■ 2012 wurde sie Weltmeisterin in der Altersklasse 45 über 400 Meter Lagen.

Schwimmen hat etwas mit Ästhetik zu tun, mit dem Wassergefühl. Das Wasser greifen können. Durch Wasser gleiten können. Die Lebenskilometer sind entscheidend. Einige Leistungsschwimmer haben in ihrem Leben mehr Schwimmbäder gesehen als andere Leute Postämter oder Bahnhöfe, und sie haben weitere Wege im Wasser zurückgelegt als andere zu Fuß.

Die Szene der erwachsenen Wettkampfschwimmer ist groß, an der Masters-WM 2012 in Riccione (Italien) nahmen 12.000 Athleten im Alter zwischen 25 und 95 Jahren teil. Schwimmen ist gesund, fördert das Herzkreislaufsystem, entlastet Sehnen und Gelenke und ist weniger verletzungsintensiv als andere Sportarten. Lernen kann es jeder, zu jedem Lebenszeitpunkt.

In den 70er Jahren wurde Schwimmen durch flächendeckende Schulung und Trimm-Dich-Bewegung zum Volkssport. Die Stadt Hamburg baute zahlreiche Schwimmhallen in den Bezirken, alle im selben funktionalen Baustil. Jeder sollte Schwimmen lernen, eine vielleicht lebensentscheidende Fähigkeit. Familien traten in Vereine ein, Mitgliederzahlen boomten. Schwimmsport bedeutete Lebensqualität.

Inzwischen sind die Ressourcen für Schwimmer knapper geworden. Umkämpft waren sie immer. Bäder wurden abgerissen oder umgebaut. Das Freizeitbad wurde erfunden, die Geschäftsfelder Fitness, Wellness und Familienspaß entwickelt. Ein rotes Tuch für Vereine und Sportschwimmer: Es bedeutet weniger Wasserfläche und eine Kürzung der Trainingszeiten.

Bundesweit geht die Zahl der Schwimmbäder zurück, die wettkampftauglich sind. In Hamburg gibt es keine Badanlage, in der ein internationaler Schwimmwettkampf stattfinden könnte. Ein Wettkampfbecken hat olympische Maße (25 x 50 Meter, 10 Bahnen). Das Becken in der Hamburger Alster-Schwimmhalle ist zu kurz, sobald man die Anschlagmatten für elektronische Zeitmessung anbringt.

Dabei genießt Schwimmsport ein hohes Ansehen. Die deutschen Spitzenschwimmer wie Weltrekordhalter Paul Biedermann und der Weltfreiwasserschwimmer des Jahres 2013, Thomas Lurz, sind Helden. Ihr Schwimmstil wird von anderen Schwimmern bewundert. Wer die Schwimmtechnik noch nicht ausreichend beherrscht, weiß wie schwer es ist, im Wasser nicht „stehen zu bleiben“, wie Schwimmer es nennen. Jede Menge Übung gehört dazu. Schwimmen ist ein trainingsintensiver Sport.

Es ist komplizierter geworden, Schwimmfähigkeit gesellschaftlich flächendeckend zu ermöglichen. Der Schwimmsport erreicht nicht alle Kinder oder umgekehrt, nicht alle Kinder werden selbstverständlich zum Schwimmunterricht hingeführt. Es gibt auch anderes im Leben, manchmal verpassen Eltern einfach den richtigen Moment. Als Nachzügler ab acht Jahren ist es schwer.

Man muss unterscheiden zwischen der grundlegenden Fähigkeit, sich über Wasser zu halten, angstfrei zu sein, also Wassergewöhnung. Das Ergebnis ist kaum mehr als ein Hundepaddeln. Etwas anderes ist die Schwimmfähigkeit, das Beherrschen der Schwimmtechniken. Dafür reicht es nicht, ein bis zwei Kurse zu besuchen. Kontinuierliches Training ist notwendig. Wer Schwimmen genießen will, muss es beherrschen.

Die Schwimmlernangebote in den Hamburger Vereinen sind voll, es gibt Wartelisten und es kann bis zu 18 Monate dauern, bis ein Kind den begehrten Platz ergattert. Bei einem Monatsbeitrag von 12 bis 15 Euro pro Kind ist das Angebot preiswert und begehrt. Die Schwimmlern-Angebote des Hamburger Badbetreibers Bäderland GmbH liegen im Vergleich nicht wesentlich höher, viele Kinder werden hier ausgebildet. Aber die Kurse binden ihre Teilnehmer nicht an die Gruppe und nicht ans Element. Oft verlassen die Kids den Schwimmkurs vor Abschluss des letzten Lernmoduls.

Ein großes Problem ist, dass Kinder aus ärmeren Familien sich die Kursgebühren gar nicht leisten können. Das Sportamt der Stadt Hamburg versucht seit drei Jahren mit dem Projekt „Ab ins Wasser – aber sicher!“ gegenzusteuern. Hierbei werden Kitas mit der DLRG, Bäderland GmbH und Hamburger Vereinen zusammengeführt und die Schwimmkurse finanziell gefördert, um auch ärmeren Kindern den Zugang zum Schwimmen zu ermöglichen. Ziel ist die Wassergewöhnung.

Bei den Erwachsenen dagegen gibt es gibt es ein wachsendes Bedürfnis, nicht nur einfach Schwimmen zu können, sondern es technisch hervorragend zu können. Das Wichtigste für einen Schwimmer ist der Flow, das Abtauchen des Bewusstseins im Fließen der Bewegungen. Man zieht Bahn für Bahn, spürt die Langeweile des Kachelzählens. Und dann ist es da, dieses Fließen. Man taucht ab und vergisst, was man tut. Arme und Beine spulen die Bewegungen ab, es ist nicht anstrengend. Das Bewusstsein ist im Wasser angekommen. Man träumt schwimmend vor sich hin, schließt sogar die Augen.

In öffentlichen Bädern aber lauern Gefahren, Schwimmer brauchen starke Nerven. Raumgreifende Killergrätschen ungeübter Brustschwimmer. Leute, die just ins Wasser springen und los schwimmen, während du zur Rollwende ansetzt. Tolle Hechte, die dich abhängen wollen. Mädchen, die auf der Schwimmleine schaukeln, und du brichst dir fast den Finger darin. Coole Typen, die Arschbomben vom Dreimeterbrett machen, während du schwimmend-träumend deine Bahnen ziehst.

Schwimmer betreiben ihren Sport nur ungern in der Öffentlichkeit. Am besten schwimmt es sich mit Gleichgesinnten, also im Verein. Für Leute, die Meter machen wollen, ist das sicher die beste Lösung. Doch nicht immer passen die Trainingszeiten, dann heißt es: ab ins öffentliche Bad. Dort gibt es Zeitpunkte, die für Schwimmer gut sind: Sonntags wenn der Tatort läuft, Bayern München gegen den HSV spielt oder bei der Fußball-WM, wenn Deutschland noch im Turnier ist.

Es mag wirtschaftlich sein, wenn Bäder gut besucht sind, für Schwimmer ist es eine Qual. Dabei ist die Zahl der Badnutzer im Vergleich zu den 70er Jahren womöglich gar nicht gestiegen. Die Schwimmbadkultur hat sich verändert: Aqua-Fitness, Aqua-Spinning, Sauna und Wellness, Schwimmen für Mädchen und Frauen. Das Interesse ist genauer und gezielter.

Ein gutes Schwimmbad hat am besten mehrere Becken und einen großen Wellness-Bereich. Dann gehen die Badenden vielleicht nicht ins Sportbecken und die Schwimmer können ihre Bahnen ziehen. Die sollten Leinen haben. Vielleicht steht sogar ein Trainer am Beckenrand, der Techniktipps gibt?

Dann wird es auch im öffentlichen Schwimmbad möglich sein, den Flow zu erleben.