: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen taz
Wegen einer taz-Satire über den polnischen Präsidenten Lech Kaczyński („Polens neue Kartoffel“) leitet die Staatsanwaltschaft in Warschau ein formelles Ermittlungsverfahren gegen den Autor Peter Köhler wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts ein
VON GABRIELE LESSER UND CHRISTIAN RATH
Die „Kartoffelsatire“ der taz hat ein gerichtliches Nachspiel. „Wir haben am 19. Juli die Ermittlungen aufgenommen“, erklärte gestern Katarzyna Konwerska von Warschaus Bezirksstaatsanwaltschaft. „Grundlage der Ermittlungen ist Artikel 135, Paragraf 2 des Strafgesetzbuchs. Er sieht für die Beleidigung des Staatspräsidenten eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor.“
Wollen Satireautor Peter Köhler und im späteren Verlauf vielleicht auch noch die presserechtlich verantwortliche taz-Chefredakteurin Bascha Mika Strafverfolgung und Haft in Polen vermeiden, sollten sie nicht nach Polen reisen. Sollten sie dort wegen der Kaczyński-Satire verhaftet und verurteilt werden, müssten sie in Polen den Gang durch die Instanzen gehen. Erst gegen ein letztinstanzliches Urteil, vermutlich nach einigen Jahren, können sie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einschalten und mit guten Chancen eine Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit rügen. So weit dürfte es aufgrund diplomatischen Drucks Deutschlands und der EU aber wohl kaum kommen.
Eine Verhaftung in Deutschland ist in der Sache ausgeschlossen. Der europäische Haftbefehl, der bald auch in Deutschland wirksam ist, erleichtert zwar Auslieferungen an andere EU-Staaten. Bei einem Delikt wie Beleidigung kommt es aber immer noch darauf an, ob dies auch in Deutschland strafbar wäre. Satiren über Politiker sind hier nicht als Beleidigung strafbar, weil Überzeichnung zum Wesen der Satire gehört. Zahlreiche deutsche Politiker waren schon Gegenstand von Köhlers Satireserie „Schurken, die die Welt beherrschen wollen“. Bei Reisen in die übrigen 23 EU-Staaten lässt sich noch keine Prognose wagen, wie diese mit einem europäischen Haftbefehl umgehen werden.
Die Satire sei Polens Staatspräsidenten so auf den Magen geschlagen, spekulierte die linksliberale Gazeta Wyborcza, dass er womöglich deshalb das Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Jacques Chirac Anfang Juli kurzfristig abgesagt hatte. Offiziell wurde eine Magen-Darm-Verstimmung als Grund angegeben. Da jedoch Außenministerin Anna Fotyga die auch in Polen als linksliberal bekannte taz mit dem Nazihetzblatt Der Stürmer verglich und gar eine Entschuldigung der deutschen Regierung für den Artikel forderte, glaubt Polens öffentliche Meinung inzwischen, dass der wirkliche Grund für die Absage die Kartoffelsatire war.
Alle acht Exaußenminister Polens, die seit 1989 eine kontinuierliche EU-freundliche Außenpolitik geführt hatten, protestierten in einem offenen Brief gegen die „Geringschätzung der europäischen Partner“ durch den Präsidenten. Eine Magen-Darm-Verstimmung oder Ärger über eine Satire seien kein ausreichender Grund, um ein internationales Treffen abzusagen. Noch dazu so kurz vor dem G-8-Gipfel in Sankt Petersburg. Kaczyński hätte so die letzte Chance verpasst, vor dem Gipfel noch mit den beiden wichtigsten EU-Partnern über polnische Interessen zu sprechen.
Der seit Mittwoch amtierende neue Premier und Zwillingsbruder des Präsidenten, Jarosław Kaczyński, hatte noch vor seiner Amtsübernahme angekündigt, den „Kampf gegen die Attacken gegen uns“ persönlich führen zu wollen, denen sich in letzter Zeit auch ausländische Medien angeschlossen hätten. Obwohl Merkel Jarosław Kaczyński anrief und ihm zur Vereidigung als neuer Premier gratulierte, beruhigten sich die Zwillingsbrüder an der Staats- und Regierungsspitze nicht. In seiner Regierungserklärung erwähnte Jarosław Kaczyński die Beziehungen zu Deutschland mit keinem Wort.