„Wir hatten eine Art von neuer Liebe“

HOMMAGE Gerade widmet das Arsenal Ingrid Caven eine Filmreihe. Ein Gespräch mit der Sängerin und Schauspielerin über Zuhältersysteme, Feminismus und ihr Leben mit Rainer Werner Fassbinder

■ Ingrid Caven, 1938 in Saarbrücken geboren, kennt man in Deutschland weiterhin vor allem als Schauspielerin in Verbindung mit den Filmen von Rainer Werner Fassbinder. Zwischen 1969 und 1979 wirkte sie in 20 Filmen des Regisseurs mit, mit dem sie auch zwei Jahre lang verheiratet war. In Frankreich begann nach ihrem Umzug nach Paris Ende der 70er Jahre ihre Karriere als Chansonsängerin: wahlweise als neue Marlene Dietrich, Lotte Lenya, Edith Piaf oder Juliette Gréco wurde sie dort gefeiert.

■ In der Hommage à Ingrid Caven im Arsenal ist bis 28. Februar eine Auswahl von sieben Filmen zu sehen, von Cavens Leinwanddebüt 1965 bis zu Bertrand Bonellos Konzertfilm „Ingrid Caven, musique et voix“ aus dem Jahr 2012, der heute Abend um 20 Uhr als Berlin-Premiere präsentiert wird.

■ Und noch ein Bezug zur deutschen Popszene: 2010 spielte Ingrid Caven die Hauptrolle in dem Video „Im Zweifel für den Zweifel“ der Band Tocotronic.

INTERVIEW TOBY ASHRAF

taz: Frau Caven, wäre Ihr Leben ein Film, welchen Titel würde er tragen?

Ingrid Caven: „Ingrid Caven, der Film“. Was soll ich sonst sagen? Ich kann ja jetzt nicht „Morgenröte immerdar“ oder sonst was sagen … (lacht)

Worauf sind Sie stolz?

Stolz bin ich auf alle meine Freunde, mit denen ich gearbeitet, gelebt und geliebt habe. Ulrike Ottinger, Rosa von Praunheim, Salomé, Jeanine Meerapfel – alles tolle Leute! Und dann natürlich Fassbinder, Schroeter, Daniel Schmid, Eustache, Wondratschek, Jean-Jacques Schuhl, Enzensberger und natürlich Peer Raben und Oscar Strasnoy, ein sehr guter Komponist aus Berlin, der mir Lieder geschrieben hat.

Werner Schroeter, Daniel Schmid und Fassbinder, mit denen Sie Ihre Karriere begannen, waren alles schwule Regisseure. Was für eine Bedeutung hatte das für Sie persönlich und als Schauspielerin?

Es war eine Zeit, in der man den Mut hatte zu sagen: Gut, ich habe als Frau trotzdem männliche Eigenschaften und als Mann weibliche in mir. Die Fragen, die wir uns als Frauen damals gestellt haben, haben sich viele Schwule auch gestellt. Jetzt wird das aber alles wieder voneinander getrennt. Wir waren uns bewusst, dass wir damals – und das ist heute mindestens genauso schlimm – in perversen Situationen lebten, ob man schwul war oder heterosexuell. Für uns war wichtig, dass sich eben auch die heterosexuelle Welt Fragen stellen sollte und nicht nur wir Frauen oder die Schwulen und Lesben. Ich denke das heute noch mehr, sodass jemand, der heute kreativ ist, gar nicht an diesen Fragen vorbeikommt – egal ob er sich jetzt als Heterosexueller sieht oder nicht. Für die Leute, mit denen ich gearbeitet und gelebt habe, war eine Art Aufhebung des Tabus des sexuellen Lebens wichtig. Es war für uns ganz klar, dass das lockerer werden musste. Was mich als Schauspielerin betrifft, habe ich eigentlich immer nur Arbeiten gemacht, die ich gerne mache, was ein großer Luxus ist, den man sich eigentlich nur als Künstler leisten kann. Für uns alle, ob schwul, lesbisch oder heterosexuell, war es wichtig, gute Filme zu machen. Es ging uns darum, dass die Grenzen fließend sind und wir nicht in Klischees denken und handeln.

Bei Ihren Rollen ist trotzdem auffällig, dass die sehr häufig als Prostituierte, Geliebte oder Nachtclubsängerin besetzt wurden.

Ich denke, ich konnte diese Frauen gut verkörpern, weil ich sehr leicht eine Empathie herstellen kann mit Leuten in Grenzsituationen. Aber mit meiner Schauspieltechnik kann ich dabei immer auch einen Teil meines eigenen Gefühlslebens, meiner Erotik und meiner Gedanken sichtbar werden lassen.

Sie haben einmal gesagt, dass sich gerade Fassbinder über die politische Lage von Sexarbeiterinnen viele Gedanken gemacht hat. Wie sind diese Reflexionen über Menschen am Rand der Gesellschaft denn in Ihre Rollen eingeflossen?

Wir haben Gangster, Prostituierte und Zuhälter gekannt, und Rainer ging selbst in Köln auf den Strich. Wir haben gesehen, dass auch diese Leute vollkommen im kleinbürgerlichen Bahnen lebten. Man trennte das eine vom anderen. Das alles war gar nicht so weit außerhalb der „sauberen Gesellschaft“, sondern drückte sich nur anders aus. Das ist jeder Gesellschaft inhärent, denn man braucht diese Art von Handel. Anders als eine Prostituierte muss eine Sekretärin doch auch irgendwo machen, was ihr gesagt wird, nur dass sie dabei nicht automatisch zum Sexpartner wird. Das Zuhältersystem ist im ganzen Kapitalistensystem ausgeprägt.

Würden Sie sich selber als Feministin bezeichnen?

Ich denke, ich gehe viel weiter als zum Beispiel Alice Schwarzer. Die kam mal nach Paris und sah mich auf der Bühne. Ich glaube, danach hat sie jeden Mut verloren mich zu interviewen. Ich habe mit Männern kein Problem, aber mit der Männerwelt. Jedenfalls jongliere ich immer mit einer Vielzahl von weiblichen Nuancen. Die ewige Imitation der Männerwelt ist etwas Furchtbares. Stattdessen wünsche ich jedem ganz viel Weiblichkeit, was für viele irritierend ist, für Feministinnen und für andere auch.

Werner Schroeter hat Sie einmal als „weiße Leinwand, auf der man projizieren kann und auf der sich alles Mögliche malen lässt“, beschrieben. Tatsächlich haben Sie doch aber sicherlich oft hinter der Kamera mitgeredet.

Wenn man so eng über Jahre zusammenlebt, dann sind Arbeit und Leben nicht mehr getrennt. Man reagiert auf Filme gemeinsam und streitet sich. Dass man mit Leuten zusammenlebt und kreativ ist, hat meinen Blick verändert. Gerade mit Rainer war es sehr interessant und sehr eng, denn wir hatten ja eine Art von seltsamer, und wie wir meinten, neuer Liebe ausprobiert. Rainer hatte lange nicht gedacht, dass er mit einer Frau so eng zusammenleben würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit jemandem zusammenleben oder jemanden heiraten könnte, der sich als Homosexueller erklärt. Bis anderthalb Jahre vor seinem Tod hatten wir immerhin noch eine gemeinsame Wohnung in Paris und sind zusammen verreist. So einen Zusammenhalt über 15 Jahre kann man nur durchhalten, wenn man eine enge Beziehung hat. In dem Sinne ist es auch ganz klar, dass ich Einfluss hatte auf das, was er gemacht hat. Er hat mir auch Gedichte und Lieder geschrieben, die aus unserer Beziehung entstanden sind.

Rainer Werner Fassbinder in einem Wort.

Poet.

Welche Rolle hätten Sie gerne gespielt?

Die Rolle von Ingrid Thulin in „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman.

Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Chansonsängerin und feiern vor allem in Frankreich seit Langem Erfolge. Was würden Sie ohne Ihre Stimme machen?

Ohne meine Stimme würde ich wieder für Tocotronic lippensynchron zu ihren Liedern singen, wie in ihrem Musikvideo „Im Zweifel für den Zweifel“. Dazu haben sie mich überredet und ich habe mich letztlich sehr gut mit ihnen verstanden und ihre Arbeit sehr geschätzt, obwohl ich im Synchronsingen anfangs ganz schlecht war.

Wenn Ihr Leben ein Chanson wäre, welches wäre es?

Mein Leben ein Chanson? (singt) „Und während dieser ganzen Zeit, da singe ich la-la-la-la-la…“ Der Text ist von Jean-Jacques Schuhl, und Peer Raben hat dazu die Musik gemacht.

Hätten Sie gerne etwas anders gemacht?

Ja, viel weniger gebabbelt und mehr gesungen.